AfD-Mitarbeiter und Rechtsextremisten im Bundestag: Eine Analyse
Doch das war nicht der einzige Vorfall. Im Jahr 2020 stürzte sich Lüth, damals Sprecher der AfD-Fraktion im Bundestag, in einen Skandal, den er selbst als „furchtbaren Ausrutscher“ bezeichnete: Er hatte davon gesprochen, Migranten „vergasen“ zu wollen. Nun, vier Jahre nach diesem Vorfall, arbeitet Lüth wieder im Bundestag, und zwar für Jan Wenzel Schmidt.
„Herbeigeredeter Rechtsruck“
Schmidt, der im Jahr 2021 auf Listenplatz 2 in Sachsen-Anhalt in den Bundestag einzog, stellt sich als unbescholten dar. Der Abgeordnete ist 32 Jahre alt, stammt aus Magdeburg und verfügt über Abschlüsse als Kaufmann, Handelsfachwirt und Meister für Schutz und Sicherheit. Er studierte zwei Semester BWL, brach das Studium ab und betrieb später erst eine, dann mehrere Post- und Postbankfilialen. Im Jahr 2014 trat er der AfD bei, da er damals dachte, dass etwas sich ändern müsse. Sein Sohn war gerade geboren worden, und er wollte ihm eine andere Zukunft ermöglichen.
Die noch junge AfD, die im Jahr 2013 gegründet wurde, schien ihm dafür geeignet. Zu Beginn ging es mehr um Wirtschaftspolitik als um Flüchtlinge. Während jedoch viele der Gründungsmitglieder die Partei verließen, da sie ihnen zu radikal erschien, sagt Schmidt: „Die AfD hat sich für mich in die richtige Richtung entwickelt. Der durch die Medien herbeigeredete Rechtsruck hat nie stattgefunden.“ Zumindest für Schmidt selbst scheint dies nicht der Fall zu sein.
Verbindungen zur Identitären Bewegung
Personal war in der jungen Partei knapp. In Sachsen-Anhalt wurde Schmidt schnell stellvertretender Landesvorsitzender der Jungen Alternative, dann Vorsitzender. Bei der Landtagswahl 2016 zog er in den Magdeburger Landtag ein, wo er durch eine parlamentarische Anfrage aufdeckte, dass die Lottogesellschaft Sachsen-Anhalts die Verpflichtung zur Sportwetten-Konzession verletzt hatte. Im Jahr 2021 wechselte er in den Bundestag und sitzt dort im Finanzausschuss. Dafür benötigte er ein neues Team und nahm im Juli 2022 zunächst Mario Müller und im Juni dieses Jahr Christian Lüth unter Vertrag.
Es ist nicht das erste Mal, dass Schmidt mit der extremen Rechten in Verbindung gebracht wird. In seinem Wahlkreisbüro in Sachsen-Anhalt beschäftigte er einen Mitarbeiter, der früher einmal für die NPD kandidiert hatte. Es gab auch Verbindungen zur Identitären Bewegung (IB): Schmidt trat als Redner auf, nahm an Veranstaltungen teil und besuchte das Haus der Identitären Bewegung in Halle, in dem auch Müller tätig war.
Für die IB liegt eigentlich ein Unvereinbarkeitsbeschluss mit der AfD vor. Der Verein steht auf einer Liste, die auch diverse Abspaltungen der NPD und die rechtsextreme Kleinstpartei Freie Sachsen umfasst. Die Partei nutzt diese Liste immer wieder, um zu beweisen, dass sie fest auf dem Boden des Grundgesetzes steht und dass verfassungsfeindliche Gruppen nichts mit der Partei zu tun haben. So argumentierte sie im Prozess gegen das Bundesamt für Verfassungsschutz, sie sei zu Unrecht als rechtsextrem eingestuft, da sie sich bewusst mit einer Unvereinbarkeitsliste von extremistischen Organisationen abgrenze. Dass sie etwa die Freien Sachsen oder die IB auf diese Liste gesetzt habe, widerspreche der These, dass die AfD sich weiter radikalisiere.
Allerdings hängt in Schmidts Abgeordnetenbüro Unter den Linden ein Trikot des Sommerlagers der IB, gerahmt. Dies habe ihm die IB geschenkt, da er das Sommerlager finanziert habe – privat natürlich, sagt er. Er selbst sei kein Mitglied. Doch, wie er betont: „Die Identitäre Bewegung hat meiner Meinung nach genauso eine Daseinsberechtigung wie andere gewaltfreie Protestbewegungen auch.“ Die Unvereinbarkeit versucht er damit zu erklären, dass es sich um Aktivisten handle. Die AfD arbeite dagegen parteipolitisch.
Im Verfassungsschutzbericht heißt es, die IB ziele darauf ab, Menschen mit außereuropäischer Herkunft von demokratischer Teilhabe auszuschließen und sie in einer ihre Menschenwürde verletzenden Weise zu diskriminieren. Menschen ohne gleiche ethnische Voraussetzungen könnten aus Sicht der IB niemals Teil einer gemeinsamen Kultur sein. Der Verein wird mit nachrichtendienstlichen Mitteln beobachtet.
Jan Wenzel Schmidt (AfD) in seinem Büro im deutschen Bundestag
Schmidt bleibt bei seiner Darstellung als Saubermann. Nie habe er selbst mit NPD-Kreisen zu tun gehabt. Nie habe er selbst problematische Aussagen getätigt. Als an seiner Bürotür im öffentlich nicht zugänglichen Otto-Wels-Haus des Bundestags einmal ein Sticker mit der Aufschrift „A different place for every race“ auftauchte, gab er an, dass es sich um die Aktion eines AfD-Hassers handeln müsse, mit der er verunglimpft werden sollte.
Jedenfalls gibt Schmidt denen, die in der Vergangenheit in Konflikt mit dem Gesetz gerieten oder in ihren Aussagen selbst der AfD zu radikal waren, eine Stelle und Zugang zum Bundestag – in den Personen von Müller und Lüth.
Alle redeten immer von einer zweiten Chance, er gewähre sie, sagt der Abgeordnete. Das gilt für Müller, der früher der Jugendbewegung der NPD angehörte und wegen schwerer Körperverletzung und dem Angriff auf zwei Polizeibeamte vorbestraft ist. Und für Lüth, dem der Skandal aus seiner Zeit als Sprecher der AfD-Fraktion nachhängt. Obwohl Schmidt auch vonseiten der AfD Kritik bekommen hat für seine jüngste Personalentscheidung. „Es wurde die Befürchtung geäußert, dass es sich wiederholen könnte. Was dann für uns nicht tragbar wäre“, fügt er hinzu. Wenn er das sagt, huschen seine Augen kurz zu Lüth hinüber. Schmidt profitiert von Lüths Fähigkeiten und seinen Netzwerken. Lüth blickt auf gut 20 Jahre Erfahrung im Bundestag zurück, erst für die FDP, dann für die AfD.
Das, was sich nicht wiederholen soll, sind die menschenverachtenden Aussagen von Lüth. Er hatte im Gespräch mit einer rechten Aktivistin vor laufender Kamera gesagt, dass man Migranten nach Deutschland lassen solle, damit es dem Land schlecht gehe, denn das sei gut für die AfD. „Wir können die nachher immer noch alle erschießen. Das ist überhaupt kein Thema. Oder vergasen, oder wie du willst. Mir egal!“ Selbst für den damaligen Parteichef Alexander Gauland war er damit nicht mehr tragbar. Seinen Job als Sprecher der AfD verlor er, aus der Partei trat er selbst aus. Allerdings nur, weil er wegen eines „Abrechnungsfehlers vonseiten der Geschäftsstelle, auf dem sie beharrte, viele Tausend Euro ungerechtfertigte Mitgliedsbeiträge“ nachzahlen sollte, wie er sagt.
Die Parteispitze hält sich bedeckt
Auch wegen des Einflusses von Alkohol sei er damals hemmungslos gewesen, wie ein Auto ohne Bremse, das in einen Unfall rauscht, sagt Lüth über den Skandal. „Damals war mein Charakter so.“ Im Jahr 2020 stand er auch wegen Körperverletzung vor dem Amtsgericht Tiergarten. Der Anklage zufolge hatte er eine Radfahrerin an einem Zebrastreifen mit einem gezielten Schlag ins Gesicht zu Boden gestreckt. Lüth gab im Prozess an, dass sein Schlag versehentlich durch ein Hochreißen der Arme erfolgt sei. Das Verfahren wurde gegen Geldauflage eingestellt.
Nun gibt Lüth sich geläutert und bekommt seine Chance bei Schmidt. Der Abgeordnete „verurteilt“ die Aussagen von 2020. Davon, Lüth eine neue Stelle anzubieten, hielten sie ihn nicht ab. Kay Gottschalk, seit dem Parteitag in Essen Teil des Bundesvorstands, hatte im Jahr 2022 schon einmal in Erwägung gezogen, Lüth anzustellen. Der Vertrag war schon vorbereitet. Gottschalk ließ davon ab, als parteiinterne Kritik laut wurde.
Jetzt sei die Zeit reif für sein Comeback, findet Lüth, dafür, wieder in der Politik mitzumischen. Aus der Partei ist trotzdem zu hören, „begeistert“ seien die wenigsten, dass er wieder da ist. Eine offene Revolte bleibt aber aus. Personalien, die vor zwei Jahren undenkbar waren, lösen nun nur noch ein Schulterzucken aus.
Auch die Parteispitze hält sich bedeckt. Der Sprecher der Ko-Vorsitzenden Alice Weidel sagt, die Einstellung der Mitarbeiter der jeweiligen Abgeordneten unterliege nicht dem Einfluss der Fraktion. „Auch der Fraktionsvorstand hat kein Vetorecht oder Sanktionsmöglichkeiten.“
Also freie Bahn? Nicht ganz. Lüth hat noch keinen Hausausweis des Bundestags, der Antrag läuft. Ob er einen bekommt, entscheidet die Bundestagsverwaltung. Im Fall von Schmidts Mitarbeiter Müller ist die Sache schon entschieden: Er darf den Bundestag nicht allein betreten, sondern muss jedes Mal angemeldet werden. Manchmal kommen dann Sicherheitskräfte, die Müller im Haus begleiten. Das sei nur ein „Showeffekt“, sagt Schmidt. Er hat Müller trotzdem ins Homeoffice versetzt.
Wie die Bundestagsverwaltung mitteilt, haben 317 Mitarbeiter von AfD-Abgeordneten in dieser Wahlperiode einen Hausausweis, das ist knapp die Hälfte der Angestellten von Abgeordneten der Partei. Hinzu kommen etliche Mitarbeiter der Fraktion. Komplett versagt wurde ein Hausausweis nur in einem Fall; offenbar dem von Mario Müller. Die Bundestagsverwaltung darf aus Datenschutzgründen keine Begründung dafür angeben. Sie teilt lediglich allgemein mit: „Der Erteilung von Zutrittsberechtigungen geht eine Zuverlässigkeitsüberprüfung voraus.“ Dazu gehört auch eine Prüfung der Vorstrafen.
Eine weiße Spardose von Karl Marx und eine Lego-Figur, der Kopf von Darth Vader, stehen im Büro des Bundestagsabgeordneten Jan Wenzel Schmidt (AfD) im Deutschen Bundestag.
„Es wird das Märchen geschürt, dass da Gefahren von den Mitarbeitern ausgehen“, sagt Schmidt. Das sei Quatsch. Einige Mitglieder des Bundestags hatten geäußert, dass sie sich unwohl fühlten, wenn bekannte Rechtsextreme, Identitäre oder vorbestrafte Gewalttäter im Bundestag arbeiteten und die Gebäude ohne weitere Kontrolle betreten könnten. Sie könnten so auch an sensible Informationen gelangen. „Die Bundestagsverwaltung prüft derzeit, mit welchen Maßnahmen die Sicherheit des Deutschen Bundestages weiter erhöht werden kann“, heißt es von der Verwaltung. Recherchen des Bayrischen Rundfunks hatten ergeben, dass mehr als 100 rechtsextreme Mitarbeiter für AfD-Abgeordnete und die Fraktion tätig seien. Beobachter gehen davon aus, dass solche Vernetzungen den Abgeordneten helfen, Stimmen im rechtsextremen Vorfeld zu sichern. „Es muss alle Demokraten umtreiben, dass rechtsextremistische Netzwerke bis in den Bundestag reichen“, sagte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) nach der Veröffentlichung.
Die Mitarbeiter sind den Recherchen zufolge Mitglieder in Organisationen, die als gesichert rechtsextrem gelten; einen Großteil davon machen Gruppen innerhalb der AfD selbst aus – etwa die Junge Alternative oder die vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestuften Landesverbände in Sachsen, Thüringen – und Sachsen-Anhalt. Das ist Schmidts Landesverband.
Schmidt sagt, er habe seine Mitarbeiter wegen ihrer Qualifikationen ausgewählt. Müller kümmere sich bei ihm um den Auftritt in den sozialen Medien; Lüth berate ihn in finanzpolitischen Fragen – „er zieht meine Anträge glatt“. Und er hat sein Netzwerk in der Hinterhand. Beide brächten auch Ideen ein. Nicht alle setze er um. Aber jede zehnte, so ungefähr.
„Ich bin genauso Patriot wie alle in der AfD“
Was seine Angestellten in ihrer Freizeit machten, gehe ihn nichts an, sagt Schmidt. Aber er finde es natürlich gut, dass sie sich politisch engagierten. Bei Mario Müller sieht dieses Engagement unter anderem so aus: Er hat am Treffen in Potsdam teilgenommen, bei dem Vertreter der Identitären Bewegung, der AfD und der Werteunion sich unter anderem über Remigration austauschten. Parteichefin Alice Weidel hatte sich von ihrem Referenten getrennt, nachdem bekannt wurde, dass er beim Treffen in Potsdam teilgenommen hatte. Müller soll dort nach Recherchen des Netzwerks „Correctiv“ in einem Vortrag die Antifa als „Hauptgegner der Rechten“ ausgemacht und Strategien für den Kampf gegen Linke vorgestellt haben.
Schmidt macht als Hauptgegner eine andere Partei aus: die CDU. Gegen die plant er mit Lüth gerade eine Kampagne, Details sind noch geheim. An einem Sommermorgen hocken die beiden auf der schwarzen Ledercouch in Schmidts Büro und reden darüber. An der Wand gegenüber hängt ein hyperrealistisches Gemälde von Magdeburg, auf dem Schreibtisch stehen eine Büste von Bismarck, eine Karl-Marx-Spardose und ein Darth Vader aus Lego. Den Sith Lord der dunklen Seite der Macht aus Star Wars habe ihm sein Schwiegervater geschenkt, sagt Schmidt, aus Spaß.
Das Ziel der Kampagne ist klar: die Wähler, die „sich von der CDU fangen lassen, wachrütteln“. Oder, selbstbezogener ausgedrückt: Wiederwahl in den Bundestag im nächsten Jahr. Schmidt sagt, sein Plan sei nicht, hohe Ämter zu erreichen. „Ich werde alles daransetzen, dass die AfD möglichst bald in Regierungsverantwortung kommt.“ Dann erst sei wahre Veränderung im Land möglich.
Welche politischen Ziele verfolgt Schmidt? Direkt gefragt weist er sich als Finanzpolitiker aus. Er befürworte einen pauschalen Steuersatz; außerdem will er Unternehmen im Land halten und einen Sozialstaat, aber: „Leistung muss sich lohnen!“ Die Themen Asylpolitik und Migration spielten für ihn dabei auch eine Rolle. „Unser hart erarbeitetes Geld soll für Interessen im Land eingesetzt werden, nicht irgendwo anders. Ich bin genauso Patriot wie alle in der AfD.“
Und darum passt es für ihn, seine Finanzpolitik in der AfD und nicht anderswo zu machen. Er sei nämlich kein „Fan der Regenbogenfahne“ und stehe beim Thema „Nation“ den „Kollegen aus Thüringen nahe“. Also dem völkischen Flügel rund um Björn Höcke. Schmidt will ein Europa der Vaterländer, in dem Deutschland als „Kulturnation“ auftritt. Das erinnert an den Ethnopluralismus der IB. In eine Strömung innerhalb der AfD will Schmidt sich aber nicht einordnen. Die seien ohnehin kaum noch vorhanden. „Die Quertreiber sind raus.“ Übrig bleibt ein zunehmend radikaler Kern. Und mitten darin Abgeordnete wie Jan Wenzel Schmidt.