Herr Lindner, am Donnerstag hat der Bundespräsident Sie aus dem Amt des Bundesfinanzministers entlassen – in Anwesenheit des Bundeskanzlers. Hat Olaf Scholz in Schloss Bellevue mit Ihnen gesprochen? Wir haben uns begrüßt, wie es die bürgerlichen Höflichkeitsformen gebieten. Darüber hinaus gab es keinen Austausch. Hätten Sie sich einen gewünscht? Olaf Scholz hat sich öffentlich geäußert. Damit war für mich alles gesagt. Jetzt ist entscheidend: Wie geht es für unser Land weiter? Ich hätte nicht erwartet, dass Olaf Scholz eine Neuwahl so lange hinauszögert. Aus Angst vor den Wählerinnen und Wählern darf Deutschland nicht so lange im Schwebezustand bleiben. Die Menschen müssen jetzt die Richtungsentscheidung treffen, zu der die Regierung Scholz nicht fähig war.
Kurz zurück zu dem, was war: Sie wirkten bei Ihren öffentlichen Auftritten am Mittwochabend und Donnerstag bewegt, teils geschockt. Wie erleben Sie diese Tage? In der aktuellen Situation bin ich völlig vereinnahmt von politischem Management. Die seelische Verarbeitung kommt später. Olaf Scholz hat mich auf die Straße gesetzt, aber auf der Straße fühle ich mich wohl. Ich habe am Freitagabend bereits meine erste Veranstaltung für die kommende Bundestagswahl absolviert. Auf den Winterwahlkampf muss ein politischer Frühling für Deutschland folgen. Klar ist, dass die FDP wieder gestalten will.
Dazu müssten Sie es erst mal wieder ins Parlament schaffen. Dessen bin ich mir sicher. Wir haben ein neues Momentum. Viele Menschen sagen mir, dass sie nach den Jahren der Ampel wieder die Liebe zur Freiheit, die marktwirtschaftliche Fundierung, die Vernunft und eben den Mut der FDP erkennen.
Sie haben gesagt, Sie sind auf die Straße gesetzt worden. Bei der Beurteilung der Gründe dafür gehen die Einschätzungen auseinander. Wie sehen Sie selbst das, was Ihnen passiert ist? Wurden Sie getäuscht, haben andere sich in Ihnen getäuscht? Wurden Sie unterschätzt? Überschätzt? Zum einen stimmten wir nicht überein hinsichtlich der Analyse der Lage unseres Landes und der notwendigen Schlussfolgerungen für die Wirtschafts- und Finanzpolitik. Ich sehe unser Land in einer sich zuspitzenden wirtschaftlichen Krise, die jetzt einen Agenda-Moment erfordert, also grundlegende Reformen in der Wirtschafts- und Finanzpolitik. SPD und Grüne halten dagegen an Umverteilung, Bürokratismus und einer planwirtschaftliche Züge tragenden Klima- und Energiepolitik fest. Zum anderen hat Olaf Scholz von mir am Mittwochabend ultimativ verlangt, die Schuldenbremse aufzugeben. Ich bin vor die Wahl gestellt worden, entweder meiner Überzeugung zu folgen oder mein Amt zu verlieren. Ich habe mich für meine Überzeugung entschieden. Übrigens hätte nicht einmal die Möglichkeit bestanden, ein solches Vorgehen von den Verfassungsexperten meines früheren Hauses prüfen zu lassen. Für einen solchen Umgang mit dem Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland stehe ich nicht zur Verfügung.
Nach Darstellung der Grünen hatte Habecks Team einen Vorschlag vorgelegt, in dem auch ohne Aussetzen der Schuldenbremse eine Lösung für die Ukraine gefunden worden wäre. Haben Sie den Vorschlag abgelehnt? Hat der Kanzler ihn abgelehnt? Die Darstellung der Grünen ist richtig. Es gab alternative Vorschläge jenseits der Schuldenbremse. Ich hatte in meinem Wirtschaftswende-Papier sogar vorgerechnet, dass eine Senkung von Körperschaftsteuer und Solidaritätszuschlag finanzierbar wären. Weitere Gespräche über Vorschläge der Grünen oder von mir wurden aber abgelehnt. Es gab zudem auch keine Bereitschaft, meine Vorschläge für den Abbau von Bürokratie und eine marktwirtschaftliche Klima- und Energiepolitik vertieft zu beraten. Es hieß: entweder Aufhebung der Schuldenbremse oder Ende der Koalition. Offenbar soll ein Narrativ etabliert werden, ich wolle die Hilfe für die Ukraine zulasten des Sozialstaats finanzieren. Das ist abwegig. Wobei man angesichts der Ängste um Jobverluste in Erinnerung rufen muss, dass eine die Beschäftigung sichernde Wirtschaftspolitik zugleich die beste Sozialpolitik ist. Ich bedauere, dass die von mir vorgeschlagene Option ausgeschlagen wurde, gemeinsam, geordnet und in Würde, wie 2005 Rot-Grün, selbst eine Neuwahl schon im Januar herbeizuführen. Das hätte das aktuelle Chaos vermieden. Staatspolitisch wäre meine Option vorzugswürdig gewesen.
Da Sie eben sagten, die Darstellung der Grünen sei richtig: In seinem Statement am Mittwochabend sagte Robert Habeck, es hätte Wege gegeben, aber die FDP sei nicht bereit gewesen, diese Wege zu gehen. Wie verstehen Sie das? Vermutlich hat Robert Habeck im Eifer des Gefechts gesprochen. Richtig ist, dass die FDP bereit gewesen wäre, die Gespräche fortzusetzen. Allerdings ist wahr, dass die Positionen weit auseinanderlagen. Die FDP ist schlicht keine linke Partei. Also tragen wir auch keine linksgrüne Politik mit. Erst recht nicht, wenn das Land eine ganz andere Richtung braucht.
Von Habeck scheinen Sie sich, anders als vom Kanzler, nicht getäuscht zu fühlen. Ich habe niemandem gegenüber einen solchen Vorwurf erhoben. An der persönlichen Verächtlichmachung früherer Regierungspartner beteilige ich mich nicht. Zur Demokratie gehört ein gewisser Stil im Umgang.
Aus der SPD hört man, für Mittwochabend seien drei Scholz-Statements vorbereitet gewesen, eins für den Fall eines Durchbruchs, eins für Vertagung und eins für den Bruch. Mal angenommen, Sie hätten den Durchbruch geschafft – dann wäre die Rede, die nun alle kennen, in der Schublade geblieben und damit die Aussage des Kanzlers, Sie hätten oft sein Vertrauen gebrochen. Aber das wäre ja trotzdem seine Auffassung gewesen. Hatten Sie den Eindruck, Ihr Vertrauensverhältnis war bis Mittwoch intakt? Die Aussagen waren überraschend. Mehr sage ich dazu nicht. Die Bürgerinnen und Bürger können sich auch ohne mich ein Urteil bilden, wie der Regierungschef der viertgrößten Volkswirtschaft der Welt sich öffentlich äußert.
Dann zurück zur Frage, woran die Sache im Kern gescheitert ist. Die Koalition ist so gescheitert, wie sie auch begonnen wurde, nämlich mit einem fahrlässigen Umgang mit dem Grundgesetz. Am Beginn stand der Vorschlag von Olaf Scholz, 60 Milliarden Euro Corona-Kredite umzubuchen. Das hat das Bundesverfassungsgericht später verworfen. Und am Ende sollte ich die Schuldenbremse des Grundgesetzes aussetzen. Das wäre wieder in Karlsruhe gelandet.
Hätten Sie vor einem Jahr, nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, den Koalitionsvertrag mit SPD und Grünen neu verhandeln müssen? Ja, absolut. Ich werfe mir selbst vor, darauf nicht bestanden zu haben. Ich hätte sagen müssen: Eine wesentliche Voraussetzung ist entfallen. Seit diesem Urteil verschärfte sich der Konflikt in der Koalition. Im Nachhinein weiß ich, dass SPD und Grüne den Bedingungen der FDP für den Koalitionsvertrag nur zustimmten, weil über das Manöver von Herrn Scholz Geld zur Verfügung stand für ihre Vorhaben. Die Bedingungen der FDP waren ja, die Bürgerinnen und Bürger zu entlasten und zu einer nachhaltigen Finanzpolitik zurückzukehren.
Das klingt so, als könnten Sie sich nicht vorstellen, noch einmal mit SPD und Grünen zu koalieren. Eine Ampelkoalition ist ausgeschlossen.
Auch unter der Führung von jemand anderem als Olaf Scholz? Eine Ampelkoalition ist ausgeschlossen.
Ein Bündnis mit den Grünen unter Führung der Union, also Jamaika, wäre denkbar? Koalitionsaussagen kann ich zum jetzigen Zeitpunkt nicht machen. Erst wenn wir die Wahlprogramme kennen, kann man etwas dazu sagen. Allerdings nehme ich wahr, dass es in Deutschland unter den Bürgerinnen und Bürgern einen erheblichen Wechselwunsch gibt. Ich konnte jüngsten Umfragen entnehmen, dass interessanterweise eine schwarz-gelbe Koalition inzwischen zu den beliebtesten Koalitionsmodellen der Bürgerinnen und Bürger gehört.