CDU, BSW und SPD in Thüringen haben am Freitag die Ergebnisse ihrer bisher geführten Gespräche über eine mögliche Zusammenarbeit vorgelegt. In einem gemeinsamen Papier formulieren sie Themenbereiche, über die in Koalitionsverhandlungen gesprochen werden soll. Aus dem BSW-Landesvorstand hieß es am Abend: Man wolle nachverhandeln. Die CDU stimmte dem Papier zu und gibt sich zur BSW-Forderung gelassen.
BSW: „Friedenspräambel“ soll vorher ausgehandelt werden
Das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) will Koalitionsverhandlungen mit CDU und SPD nur unter einer Bedingung beginnen: Vor Aufnahme der Verhandlungen müss die vom BSW geforderte „Friedenspräambel“ in einem möglichen Koalitionsvertrag verhandelt werden, teilte der BSW-Landesvorstand am Freitagabend nach einer Sitzung in Erfurt mit. Dem am Vormittag gemeinsam mit CDU und SPD vorgestellten Sondierungspapier habe der erweiterte BSW-Landesvorstand – unter der genannten Vorbedingung – einstimmig zugestimmt.
Die BSW-Landesvorsitzende Katja Wolf sagte, es sei inakzeptabel, dass in dem Papier das Thema Krieg und Frieden und die BSW-Forderung nach mehr Diplomatie zur Beendigung des Ukraine-Krieges ausgespart blieb, sagte Wolf. Ohne Klarheit in der Friedensfrage gebe es keine Koalitionsverhandlungen.
Der Co-Landesvorsitzende Steffen Schütz kündigte an, dass das BSW einen Formulierungsvorschlag für einen Passus in der Präambel eines möglichen Koalitionsvertrages vorlegen will. Dabei gehe es um mehr Diplomatie zur Beendigung des Ukraine-Krieges und ein Nein zur Stationierung von US-Mittelstreckenraketen in Deutschland.
Am Freitagvormittag hatte das BSW gemeinsam mit CDU und SPD in Erfurt ein Positionspapier mit Themen für mögliche Koalitionsverhandlungen präsentiert. Eine Positionierung zu Forderungen von BSW-Gründerin Sahra Wagenknecht nach einem Nein zur geplanten Stationierung von US-Mittelstreckenraketen in Deutschland und einem Stopp der Waffenlieferungen an die Ukraine sind darin nicht aufgeführt. Es ist lediglich davon die Rede, dies in Koalitionsverhandlungen zu besprechen.
CDU-Vorstand stimmt Sondierungspapier zu
CDU-Landeschef Mario Voigt zeigte sich am Freitagabend entspannt zur Vorbedingung des BSW. Es sei ohnehin vereinbart, in der Präambel eines Koalitionsvertrages das Thema Frieden aufzugreifen. Er sei optimistisch, dass auch dieses Problem des BSW gelöst werde. Voigt sagte weiter, der CDU-Landesvorstand und die CDU-Kreisvorsitzenden hätten das mit BSW und SPD veinbarte Sondierungspapier mit großer Mehrheit angenommen.
Die SPD will sich am Samstag mit dem Sondierungspapier befassen.
Sondierungspapier nennt Schwerpunkte für Koalitionsgespräche
Das Papier enthält inhaltliche Schwerpunkte einer möglichen Zusammenarbeit, über die in formellen Koalitionsverhandlungen gesprochen werden soll.
Im Vorwort zu dem Papier heißt es unter anderem, CDU, BSW und SPD kooperierten „gemeinsam, um Thüringen nach vorne zu bringen“. Unterschiedliche Traditionen und SIchtweisen seien nicht Hindernisse, „sondern Treiber für neue politische Kreativität“. Die drei Partner nähmen die durch Unternehmen, Familien, Freundeskreise verlaufenden gesellschaftlichen Risse wahr und wollten zeigen, „dass sich das Finden von Gemeinsamkeiten und die Arbeit daran lohnt“. Mit ihrer Kooperation wollten sie „einen Aufbruch und neue Hoffnung entfachen“. Man wolle „das Land aus der Mitte heraus zusammenführen“, Sorgen wahrnehmen und Ängste abbauen.
Bildungspolitik: Verpflichtende Deutschtests vor Einschulung
Das Papier nennt mehrere Themenbereiche, über die in Koalitionsverhandlungen gesprochen werden soll. Darunter sind etwa Bildung und Familie, Wirtschaft, Gesundheit und Pflege, Migration, Sicherheit und Justiz. Landwirtschaft, Finanzen und politische Kultur. In der Bildungspolitik soll es unter anderem um verpflichtende Deutsch-Tests vor der Einschulung, Nutzungseinschränkungen für Handys in der Kern-Schulzeit und die Vermittlung von Medienkompetenz sowie Demokratiebildung im Unterrichzt geben. Familien sollen unter anderem durch die Abschaffung von Hortgebühren und den Ausbau von Ganztagsangeboten für Schülerinnen und Schüler entlastet werden.
Wirtschaft: Konzentrierte Gründer- und Nachfolgeförderung
In der Wirtschaftspolitik werden unter anderem die Einrichtung eines Transformations-, Technologie- und Innovationsfonds für Mittelstand und Industrie und eine „konzentrierte Gründer- und Nachfolgeförderung“ in Zusammenarbeit mit der Thüringer Aufbaubank, Sparkassen und Genossenschaftsbanken genannt. Die Meisterausbildung soll nach dem Willen der drei Parteien kostenfrei werden. Außerdem wollen die drei Partner eine Anwerbeoffensive für ausländische Fachkräfte und Auszubildende. In der Energiepolitik setzen CDU, BSW und SPD auf einen Energimix aus Geo-, Bio-, Solar-, Wasser- und Windenergie und die Nutzung von Wasserstoff.
Erhalt aller Krankenhaus-Standorte
In der Gesundheitspolitik wollen sich die drei Parteien unter anderem für den Erhalt aller Krankenhaus-Standorte einsetzen sowie für eine Übernahme der Investitionskosten für Pflegeeinrichtungen. In der Migrationspolitik wollen die drei Parteien einen „Richtungswechsel“ herbeiführen und etwa die Kommunen durch eine Erhöhung der Aufnahmekapazität von Einrichtungen des Landes entlasten. Es soll eine zentrale Landesausländerbehörde geben, „die Aufnahme, Anerkennung, Integration und Rückführung bündelt“.
Mehr Polizisten und Cyber-Sicherheitsagentur
In der Sicherheitspolitik wird etwa die Einstellung von 1.800 neuen Polizisten genannt. Die Polizei-Ausrüstung soll „auf den modernsten Stand“ gebracht werden. Jusitz und Justizvollzug sollen besser personell ausgestattet werden. Auch soll es eine Cyber-Sicherheitsagentur und eine Schwerpunktstaatsanwaltschaft für Cybercrime geben.
Keine Zusammenarbeit mit AfD
Eine Zusammenarbeit mit der AfD schließen die drei Parteien in ihrem Papier aus, jedoch seien aufgrund der Sperrminorität dieser Partei Gespräche zu notwendigen parlamentarischen Verfahren und Entscheidungen zu führen. Es bedürfe „keiner gesonderten Vereinbarung mit der Linken“, was Gespräche zu Sachfragen aber nicht ausschließe.
Thema Frieden soll in Koalitionsverhandlungen besprochen werden
In der gemeinsamen Pressekonferenz sagte CDU-Vertreter Bühl, die Gespräche hätten in einer vertrauensvollen und konstruktiven Atmosphäre stattgefunden. Auch BSW-Vertreter Tilo Kummer sprach von einem „fairen Umgang“ miteinander. Ein wichtiger Streitpunkt wurde bislang indes ausgeklammert: die Forderungen der BSW-Gründerin Sahra Wagenknecht unter anderem nach einem Verbot einer Stationierung von US-Mittelstrecken-Raketen in Deutschland und einem Ende der Waffenlieferungen an die Ukraine. „Dem Thema Frieden in Europa werden wir in den kommenden Verhandlungen Raum verschaffen und mit einer Standortbestimmung im Rahmen einer möglichen Präambel gemeinsam begegnen“, heißt es in dem Papier.
Reaktionen
Linke: Ideenloses Papier
Die Linke-Landesvorsitzende Ulrike Grosse-Röthig sprach von einem „ideenlosen“ Papier, das keinen Politikwechsel widerspiegele. Es bestehe vor allem aus Belanglosigkeiten und biete nichts, was Thüringen wirklich weiterbringt. Festhalten an der Schuldenbremse, kaum Ideen für den Schutz der Demokratie, eine Stärkung des Inlandsgeheimdienstes und eine wettbewerbsorientierte Marktwirtschaft als Leitlinie – das sei weder links noch neu, so Grosse-Röthig. Das Papier atme „den Geist der alten CDU-Herrschaft in Thüringen, ergänzt um populistische Schlagworte im Bereich der Asyl-, Innen- und Bildungspolitik“.
Grüne: Wunschkonzert ohne Konzepte
Die Thüringer Grünen nannten das Papier der drei Parteien ein „Wunschkonzert ohne Konzepte“, das gesellschaftlich wichtige Themenkomplexe komplett außen vor lasse. Willkommenskultur und Weltoffenheit kämen darin nicht vor, kritisierte Landessprecherin Ann-Sophie Bohm. Die Bedrohung durch den erstarkenden Rechtsextremismus werde nicht einmal erwähnt, „geschweige denn Maßnahmen dagegen“. Überlegungen zur Stärkung von Kindern und Jugendlichen gebe es darin nicht, Tierschutz und Naturschutz tauchten nicht auf. Auch die Perspektive von Frauen, queeren Menschen und Mitgrantinnen und Migranten werde ignoriert.
DGB wirbt für Vereinbarung mit der Linken
Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) kritisierte, dass in dem Papier Gewerkschaften, Betriebs- und Personalräte und Mitbestimmung nicht vorkämen. Tarifbindung werde nur im Zusammenhang mit dem Vergabegesetz genannt. Es enthalte an vielen Stellen nur reine Absichtserklärungen, so die stellvertretende Vorsitzende des DGB Hessen-Thüringen, Renate Sternatz. Sie warb zudem für eine konkrete Vereinbarung der drei Parteien mit der Linken über eine Zusammenarbeit.
MDR (dr), Reuters, AFP, dpa