Der Iran und das Atomabkommen: Hintergründe und Herausforderungen
Das iranische Regime hatte einen militärischen Racheangriff auf Israel angekündigt. Doch die Aktion lässt auf sich warten. Denn die Mullahs wägen ihren Schritt genau ab – nicht zuletzt aus innenpolitischen Gründen.
Mittlerweile ist es schon zweieinhalb Wochen her, dass Ismail Hanija, der Chef der palästinensischen Terrororganisation Hamas, in Teheran durch ein gezieltes Attentat umgebracht wurde. Obgleich der Iran Israel als Drahtzieher ausgemacht und postwendend Rache geschworen hat, lässt sich das Mullah-Regime mit seinem angekündigten Gegenschlag Zeit. Zwar ließ Hassan Nasrallah, der Chef der mit Iran verbündeten Hisbollah, bereits verlauten, dass das Warten Teil der Vergeltung sei. Doch dürften auch inneriranische Gründe eine Rolle spielen.
Dass es gelungen ist, den Hamas-Führer ausgerechnet in Teheran zu liquidieren, lässt die inneren Sicherheitssysteme Irans in sehr schlechtem Licht erscheinen und hat die politische wie die militärische Führung der islamischen Republik allem Anschein nach in große Unsicherheit versetzt. Dies zeigen nicht nur Meldungen über anhaltende Diskussionen im Nationalen Sicherheitsrat – auch ein Witz, der unter Iranern gerade die Runde macht, zeigt die Verunsicherung darüber, wozu Israel in der Lage sein könnte: „Warum lässt sich der Nationale Sicherheitsrat mit dem militärischen Schlag gegen den Feind so lange Zeit? Weil Israel mit am Tisch sitzt.“
Ob das realistisch ist, spielt dabei weniger eine Rolle als die Tatsache, dass sich der Tod Hanijas in eine lange Liste gezielter Anschläge reiht, bei denen in den vergangenen Jahren immer wieder wichtige Militärs und Atomwissenschaftler in Iran ums Leben kamen. Diese wurden mutmaßlich ebenfalls durch den israelischen Geheimdienst Mossad ausgeführt, und verbreiteten immer wieder erheblichen Schrecken unter den islamistischen Machthabern. Israel-Sympathien im Iran nehmen zu
Neben dieser Verunsicherung dürften bei der Durchführung des angekündigten Militärschlags auch inneriranische Erwägungen eine Rolle spielen: Oberstes Gebot des Regimes ist die Erhaltung der eigenen Macht.
Zwar sitzt es zurzeit – noch – fest im Sattel. Gleichwohl kann es bei einem militärischen Angriff gegen Israel nicht mit der Unterstützung der Bevölkerungsmehrheit rechnen, die sich offensichtlich das Ende der islamischen Republik wünscht. Immerhin hielten die schweren Proteste nach dem Tod der Kurdin Jina Mahsa Amini im September 2022 über ein Jahr an und konnten nur mit Gewalt durch das Regime beendet werden.
Zudem nehmen Sympathien für Israel im Land offensichtlich zu – besonders in den sozialen Medien. Beispielsweise, wenn dort in diesen Tagen spöttisch empfohlen wird, dass Ayatollah Khamenei nach Hanijas Besuch in Teheran jetzt doch mal den neuen Hamas-Chef Jahia Sinwar einladen könne. Folgen für eigene Bevölkerung zu groß
Darüber hinaus dürften in Teheran die militärischen Folgen eines Gegenschlags von israelischer oder gar US-amerikanischer Seite ins Kalkül gezogen werden. Denn die Drohkulisse rund um die islamische Republik ist deutlich angewachsen. So hat US-Verteidigungsminister Lloyd Austin in den vergangenen Tagen ein atombetriebenes U-Boot mit Marschflugkörpern ebenso in die Region verlegen lassen wie einen zusätzlichen Flugzeugträger mit F-35C-Kampfjets. Zuvor wurden bereits zahlreiche US-Militärjets – darunter Tarnkappenbomber F-22 – in der Reichweite Teherans positioniert.
Während der Iran im Falle eines Angriffs auf Israel den Tod von Zivilisten in Kauf nehmen dürfte, werden sich Israel und die USA bei einem Gegenschlag mutmaßlich einmal mehr auf gezielte Attacken verlegen. Im Visier stünden hier militärische Stützpunkte der Revolutionsgarden sowie sämtliche iranische Atomanlagen. Gegen Letztgenannte könnten beide Länder auch bunkerbrechende Waffen einsetzen. Denn seit etwa 15 Jahren hat Teheran einen großen Teil seiner Kerntechnik in Felsmassive unter die Erde verlegt.
Eine andere Möglichkeit läge in der gezielten Zerstörung von Anlagen zur inneriranischen Energie- und Wasserversorgung. Dies könnte die Spannungen zwischen der dann unterversorgten Bevölkerungsmehrheit und dem Regime erhöhen. Generell jedenfalls gilt, dass sowohl Israel als auch die USA zwar das islamistische Regime als Feind betrachten, nicht aber die iranische Bevölkerung. Für die Mullahs heißt dies einmal mehr, dass sie die Risiken ihrer Rache für die Ermordung Hanijas genau abwägen dürften – und das kostet nicht zuletzt Zeit.