Roderich Kiesewetter: Ein Mann mit Prinzipien und Mut
Manchmal könnte Roderich Kiesewetter wohl an seiner CDU verzweifeln. Aber öfters noch hadert seine Parteiführung mit ihm. Der Abgeordnete für den schwäbischen Wahlkreis Aalen-Heidenheim ist der medial führende Vertreter der Union, wenn es um die Ukraine geht. Er findet, dass Kiew gehalten und mit mehr, viel mehr unterstützt werden muss.
Dabei kennt Kiesewetter wenige Tabus: Flugabwehr, Panzer, Eurofighter, Taurus – immer war der frühere Offizier unter den Ersten, die mehr verlangten. Gibt man im Archiv dieser Zeitung die Worte „Kiesewetter fordert“ ein, erscheinen 250 Artikel aus den vergangenen beiden Jahren. Wie kein anderer Oppositionspolitiker hat Kiesewetter Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) als zaghaften Zauderer dastehen lassen.
Dass man ihn im Kanzleramt deswegen nicht besonders mag, versteht sich also. Doch auch in den eigenen Reihen hat Kiesewetter Probleme. Warum eigentlich? Die Antwort hat mit Neid, aber auch mit Loyalität und Pragmatismus zu tun. An beidem mangle es ihm, sagen Kollegen in der Unionsfraktion. Kiesewetter, intern nennen sie ihn „RoKi“, sei ein Mann von Prinzipien, scharfem Verstand, aber auch gehörigem Eigensinn, heißt es unter Abgeordneten.
### Eine beeindruckende Karriere
Kiesewetter, sechzig Jahre alt, geboren in Sigmaringen, war vor seiner Zeit in der Politik Oberst der Bundeswehr, und zwar einer mit glänzenden Karriereaussichten. Nebenbei seit Jugendjahren in der CDU aktiv, führte es ihn ab 2009 ins Parlament. Seitdem ist Kiesewetter stets direkt gewählter Abgeordneter, seine Ergebnisse liegen weit über dem Parteidurchschnitt.
Sein Wahlspruch auf seiner Internetseite lautet: „Niemand kann Dir die Brücke bauen, auf der gerade Du über den Fluss des Lebens schreiten musst, niemand außer Dir allein.“ Der Satz stammt vom Philosophen Friedrich Nietzsche, der allerdings recht wenig vom allzu menschlichen Fraktionsalltag im Bundestag geahnt haben dürfte.
Dort hat Kiesewetter zwar allerlei Zuständigkeiten, etwa als stellvertretender Sprecher der AG für Außenpolitik oder als „Fachsprecher zivile Krisenprävention“. Aber es gibt viele, die in der Fraktionshierarchie vor ihm sind und dennoch seltener zu Wort kommen. Viel seltener vor allem in Talkshows.
### Standhaftigkeit in der Politik
Das bringt Probleme, die sich eigentlich nur dann lösen lassen, wenn man selbst der Chef ist. So wie Friedrich Merz, der mit ähnlichen Charakterzügen einst im Kosmos von Angela Merkel so große Schwierigkeiten hatte, dass er die Politik für zwanzig Jahre verließ. Kiesewetter ist ein beschlagener Erklärer und felsenfester Debattierer. Dafür kennt und schätzt man ihn auch in der Partei.
Von Januar 2022 bis Juni 2024 war er bundesweit auf 180 Veranstaltungen in mindestens 160 Wahlkreisen, wie er berichtet. Eine Wahnsinnstour und doch bloß Zwischenstationen zwischen Fernsehen, Parlament und ausgedehnten Reisen an Brandherde der Welt. Warum er das macht? Er selbst sagt der F.A.Z.: „Es ist die Herausforderung unserer Zeit und meiner Generation, Frieden in Freiheit und Selbstbestimmung aktiv zu vertreten und zu verteidigen. Wenn Russland dagegen Erfolg hat, ist unser Lebensmodell gescheitert.“
### Konflikte innerhalb der Partei
Diese Überzeugung teilen viele in seiner Fraktion, Kiesewetter ist dafür auch schon öffentlich beschimpft und körperlich attackiert worden. Doch angesichts der bevorstehenden Wahlen in Sachsen und Thüringen wünschen sich ebenso viele, allen voran Friedrich Merz, Kiesewetter würde weniger, derzeit am liebsten gar nicht von der Ukraine oder gar der Verteidigung Israels reden. Beide Themen seien ungeeignet, um zwischen Bautzen und Gotha Stimmen zu bekommen, heißt es.
Als Kiesewetter im Juni forderte, für die europäische Sicherheit mehr Schulden aufzunehmen – und also die Schuldenbremse zu lösen –, platzte Merz in der Fraktionssitzung der Kragen. Er forderte Kiesewetter vor den versammelten Abgeordneten auf, seine „Alleingänge“ zu unterlassen. Vor den Wahlen in diesem Jahr sei Geschlossenheit nötig. Vor allem in den ostdeutschen CDU-Landesverbänden hätten es die Wahlkämpfer schon jetzt sehr schwer. Merz selbst beispielsweise hatte in letzter Zeit nur noch wenig für die Taurus-Lieferung geworben, die vom sächsischen CDU-Kandidaten Michael Kretschmer besonders stark abgelehnt wird.
### Mutige Standpunkte und Konflikte
Als Kiesewetter wenige Wochen später forderte, Deutschland müsse Israel notfalls mit Eurofightern helfen, reagierten Partei- und Fraktionsspitze geradezu empört. Die Telefone liefen heiß, der Parlamentarische Geschäftsführer Thorsten Frei verlieh vor Journalisten seinem Unmut über Kiesewetter Ausdruck.
Der sagt zu solcher Kritik, er äußere sich „in Inhalt und Form angemessen, um mitzuhelfen, Haltung und Orientierung zu vermitteln. Dies mache ich unabhängig davon, ob es Aussichten auf weitere Ämter oder Karriere fördert.“ Ihm gehe es ausschließlich um die Sache. Das erfährt viel Wertschätzung. In Kiesewetters Heimatregion steht die CDU hinter ihm. Kürzlich wurde er mit fast einhundert Prozent wieder als Direktkandidat aufgestellt.
Leisetreterei, insbesondere gegenüber Kretschmers Russlandpolitik, will er weiterhin begegnen. Er sagt: „Wenn wir Diskussionsräume offen lassen oder uns bewusst nicht positionieren mit Blick auf etwaige Wahlen, dürfen wir uns nicht wundern, wenn diese Diskussionsräume von AfD und BSW besetzt und mit Desinformation gefüllt werden.“
### Herausforderungen und Widerstände
Für Merz ist seine Kanzlerkandidatur aber auch an gute Wahlergebnisse in Sachsen und Thüringen geknüpft. Und was nütze es, recht zu haben, aber anschließend keine parlamentarische Mehrheit mehr, lautet eine Einschätzung aus der Fraktion. Wobei man in der Union auch über Kretschmers aktiven Anti-Ukraine-Hilfe-Wahlkampf keineswegs glücklich ist.
Versuche, Kiesewetter auszubremsen, gibt es natürlich auch. Anfang September will er wieder in die Ukraine reisen. Und wenn die Fraktion ihn dabei nicht unterstützt, reist er eben auf eigene Kosten. Merz könnte das abermals ärgern und ein wenig zur Verzweiflung treiben – aber hätte er es früher nicht ebenso gemacht?