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Deutsche Unionspolitiker fordern striktere Asylpolitik an Grenzen

Der Migrationsfachmann Daniel Thym von der Universität Konstanz bescheinigt dem Vorschlag im Gespräch mit der F.A.S., eine „Trendwende“ in der Migrationspolitik einleiten zu können. Der CDU-Innenpolitiker Philipp Amthor sieht gar eine „historische Chance, das Problem jetzt zu lösen“. Zuletzt wurde der Vorschlag 2018 von der CSU gemacht, scheiterte aber an den damaligen Mehrheiten, vor allem an der von Angela Merkel geführten CDU und am Koalitionspartner SPD. Seitdem wurde die deutsche Migrationspolitik in kleinen Schritten verschärft, aber auch immer wieder durch Sonderaufnahmeprogramme oder erleichterte Einbürgerungen großzügiger gestaltet. Spätestens seit Solingen sei nun klar, dass die „Politik der Trippelschritte“ nichts bringe, sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Thorsten Frei, der F.A.S. und gestand ein, „dass wir auch als Union ein bisschen Zeit gebraucht haben“.

Der Kanzler signalisierte aber schnell, dass er in der entscheidenden Frage nicht mitziehen wird. Stattdessen bot er ein Verhandlungsformat unter Beteiligung seiner Koalitionspartner sowie der CDU- und CSU-Ministerpräsidenten an. Damit wäre Merz eingerahmt von Parteifreunden, die sich entweder Chancen für die Kanzlerkandidatur ausrechnen oder, wie Daniel Günther, grundsätzlich mit seinem Kurs fremdeln. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt sprach von einem „Ampel-Hinhaltegesprächskreis“, der sich nicht für den nötigen „Knallhart-Kurs“ entscheiden werde. Das spiegelte nach Meinung der Union auch das Sicherheitspaket wider, das die Koalition am Donnerstag vorstellte. Die Regierung sei „nicht bereit, sich ernsthaft um die Beschränkung der Migration zu kümmern“, sagte CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann. Zusammenarbeit mit Merz würde Regierung sprengen

In Teilen der Koalition hält sich die Auffassung, dass die zunehmende Gewalt von Tätern mit Migrationshintergrund eher wenig mit der ungesteuerten Migration zu tun habe. „Wir haben ein Islamismusproblem in Deutschland, aber das lässt sich nicht allein auf die Einwanderung zurückführen“, sagte die grüne Innenpolitikerin Lamya Kaddor der F.A.S. und verwies auf deutschstämmige Konvertiten und eingebürgerte Deutsche, die man nicht mehr als Migranten bezeichnen könne. Bei der FDP stießen Merz’ Vorschläge zwar auf Sympathien, aber als Ganzes will die Ampel die deutsche Asylpolitik nicht substanziell verändern. Eine Zusammenarbeit des Kanzlers mit dem CDU-Vorsitzenden in dieser Frage würde die Regierung sprengen. Kontrollen an der Grenze zu Polen im Oktober 2023. Bisher dürfen keine Asylbewerber zurückgewiesen werden.

Noch im Frühjahr propagierte die Union das Drittstaatenkonzept als Kernstück ihrer Migrationspolitik, jetzt geht es ihr um Eile. Die Handlungsfähigkeit des Staates müsse jetzt sofort demonstriert werden, sagt Amthor. Scholz’ Einwand, dass er das „Individualrecht auf Asyl“ bedroht sieht, kann Verfassungsrechtler Thym nicht nachvollziehen. Zurückweisungen würden weder den Grundgesetzartikel 16 verletzen noch das Non-Refoulement-Gebot der Genfer Flüchtlingskonvention, sagt er. Schließlich würden die Asylbewerber nur in Nachbarländer zurückgewiesen werden, wo sie „keiner Verfolgungssituation ausgesetzt“ wären. Knirschen könnte es mit der EU-Gesetzgebung, doch die ließe sich ändern – und schon heute kennt sie die Klausel, der zufolge eine Nichtbeachtung europäischer Asylrechtsbestimmungen unter besonderen Bedingungen gerechtfertigt ist. Diese Karte, die Erklärung einer nationalen Notlage, will Merz ziehen. Thym hält dies für „juristisch begründbar“, auch wenn einige EU-Staaten schon mit ähnlichen Versuchen beim Europäischen Gerichtshof gescheitert sind. CDU-Mann Amthor glaubt, dass am Ende das Bundesverfassungsgericht entscheiden müsste, sollte der EuGH „eine nationale Maßnahme zur Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit ablehnen“. In jedem Fall bliebe der Regierung wegen der langen gerichtlichen Entscheidungszeiten viel Zeit, um, wie Amthor es ausdrückt, die Botschaft in die Welt zu senden, „dass das Wort ‚Asyl‘ nicht mehr Zutritt zum deutschen Sozialstaat verschafft“. Am Ende die Abschottung

Das Vorgehen hätte potentiell weitreichende Folgen. Thym skizziert vor allem zwei Szenarien. Sollten sich die Nachbarländer weigern, abgewiesene Personen zurückzunehmen, drohe ein „Kollaps des europäischen Asylsystems“. Wahrscheinlicher sei, dass Länder wie Österreich oder Dänemark ihrerseits die Grenzen schließen würden, wenn Deutschland seine Asylpolitik so verschärfte. Dies könnte eine „Kettenreaktion“ auslösen, ähnlich wie 2015, als Österreich damit begann, die Balkanroute zu schließen. Es wäre der „Startschuss für eine harte europäische Asylpolitik“, so Thym. Am Ende stünde die Abschottung der EU mit einer befestigten Außengrenze. Doch selbst in Sicherheitskreisen halten das nicht alle für eine gute Idee. Pauschale Zurückweisungen seien mit der Rechtsprechung nicht vereinbar, glaubt der Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Jochen Kopelke: „Wir Polizisten würden uns damit strafbar machen.“ Kopelke hält das auch nicht für zielführend. „Terrororganisationen agieren digital, über Grenzen hinweg, und sie finden immer Menschen, die sie zu Tätern machen“, sagt er. Pauschale Zurückweisungen „würden die Falschen treffen“. Kopelke findet eine andere Debatte wichtiger: wie abgelehnte Asylbewerber und Gefährder Deutschland schneller verlassen können. Noch immer scheitert mehr als jede zweite Abschiebung; auch der Solinger Attentäter hätte nach Bulgarien gebracht werden sollen, wurde aber nicht angetroffen und verschwand.

Am Donnerstag wurden erstmals seit der Taliban-Machtübernahme afghanische Straftäter in ihre Heimat zurückgebracht. Doch der deutsche Abschiebealltag bleibt mühsam. „Mehr Konsequenz“ sei nötig, sagte Hessens Innenminister Roman Poseck (CDU) der F.A.S.; Ausreisepflichtigen werde es viel zu einfach gemacht, sich der Abschiebung zu entziehen. Deutschland dürfe sich nicht „auf der Nase herumtanzen lassen“. Schon jetzt kann man Personen zur Fahndung ausschreiben oder bei Fluchtgefahr in Abschiebehaft oder Ausreisegewahrsam nehmen. Oft scheitere das aber auch an der Überlastung der Ausländerbehörden, heißt es in Behördenkreisen – die müssten jeden Einzelfall prüfen und seien notorisch am Limit. Da überlege man sich womöglich zweimal, ob man eine Person, die man nicht angetroffen habe, mit allen Kräften suche oder hoffe, dass sie beim nächsten Mal da sei.

Die meisten Abschiebungen scheitern jedoch nicht an zu laschen Gesetzen oder zu wenig Personal, sondern an anderen Staaten. „Viele denken, es liege nur an den deutschen Behörden und an Fehlern im System, dass so viele Abschiebungen scheitern“, sagt Niedersachsens Innenministerin Daniela Behrens von der SPD. Dabei sei Deutschland auch immer auf das Wohlwollen der Herkunftsländer angewiesen – wenn sie jemanden nicht zurücknähmen, weil sie das Flugzeug nicht landen lassen oder die Behörden den Migranten keinen Pass für die Einreise ausstellen, nutzten auch die striktesten deutschen Gesetze nichts. Auch das Dublin-Verfahren, das die Länder, in denen Migranten die EU betreten haben, eigentlich zur Rücknahme verpflichtet, funktioniert nicht. Italien oder Ungarn nehmen gar nicht zurück, andere nur mit Schikanen. Behrens erzählt, weil Länder wie die Türkei Rückführungen nur in Linien- und nicht in Charterflügen akzeptierten, schmierten sich manche Migranten mit Kot ein, damit der Pilot sie nicht mitnehme. Andere randalierten und schrien im Flugzeug herum. Nicht allein das Asylrecht sei das Problem, sagt Behrens, sondern auch dies: Die Ausländerbehörden hätten jeden Tag mit Menschen zu tun, die fast alles dafür täten, um nicht abgeschoben zu werden. Viele Flüge werden aber gar nicht erst geplant, weil Deutschland in viele Länder grundsätzlich nicht abschiebt. Schon deshalb, sagt der CDU-Minister Poseck, sei die Forderung nach mehr Abschiebehaftplätzen sinnlos, zumal die vielerorts nur zur Hälfte belegt seien: Abschiebehaft könne nur dann verhängt werden, wenn eine Ausreise unmittelbar bevorstehe. Das ist in vielen Fällen aber nicht gegeben.

Wenn sich grundlegend etwas ändern solle, bleibe deshalb nur ein Weg, glaubt Poseck: weniger Migranten durch eine tragfähige europäische Migrationspolitik, die aber in den Sternen steht – und mehr sichere Herkunftsländer. Er fordert, dass Deutschland in Verhandlungen über Rücknahmeabkommen viel robuster auftritt und zum Beispiel mit dem Entzug von Entwicklungshilfe droht. „Das wäre auch Aufgabe der deutschen Außenministerin.“ Auch Abschiebungen nach Syrien und Afghanistan hält Poseck für zwingend – nicht nur von Straftätern, sondern grundsätzlich. Man könne schließlich nicht darauf warten, dass überall „unsere demokratischen und moralischen Standards herrschen“, sondern müsse „zur Wahrung unserer Interessen auch Kompromisse mit problematischen Machthabern eingehen“. Auch in der Ampel gewinnt diese Haltung an Gewicht. Irene Mihalic, Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen, bleibt dagegen. Geächtete Regime wie die Taliban oder Assad verlangten einen Preis für die Rücknahme, sagt sie, den dürfe man nicht zahlen und sie dadurch unterstützen. Sie findet, Deutschland sei sicherer, wenn ein gefährlicher Straftäter in einem deutschen Gefängnis sei statt in der Hand von „Terroristen und Massenmördern“. Unterdessen warnen Sicherheitsfachleute davor, zu glauben, die Anschlagsgefahr sei gebannt, wenn Deutschland massenhaft abschiebe und sich abschotte. Auch Deutsche könnten sich islamistisch radikalisieren, sagt der Terrorexperte Peter Neumann, ein „Generalverdacht“ gegen Migranten helfe niemandem. Wichtiger seien die geplante Verschärfung des Waffenrechts und eine bessere Prävention – auch durch mehr Befugnisse für Ermittler in Onlinediensten wie Telegram. Wie der Polizist Kopelke plädiert auch Neumann für eine flächendeckende Videoüberwachung öffentlicher Räume, um Verdächtige schneller zu erkennen und abgleichen zu können. Dass fast jede Baustelle besser überwacht sei als große Plätze, sei „eine deutsche Datenschutz-Schizophrenie“.