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Vor nur drei Wochen hätte niemand erahnen können, was die Zuschauer am Dienstag in Philadelphia erwarten würde. Auf der Bühne stand Vizepräsidentin Harris, frisch nominiert als offizielle Präsidentschaftskandidatin der Demokraten, neben ihr ein Mann, den die meisten Amerikaner auf einem Foto nicht identifizieren könnten: Tim Walz, mit dem Harris als „running mate“ in die Präsidentschaftswahl ziehen wird. Die vergangenen zwei Wochen seien ganz schön trubelig gewesen, scherzte die Vizepräsidentin in ihrer Rede. Doch in Walz habe sie einen Partner gefunden, um Amerika in eine „vielversprechende Zukunft“ zu führen.

Die erste von sieben geplanten Kundgebungen in den wahlentscheidenden Swing States war Gelegenheit, den gemeinsamen Ton für die letzten drei Monate des Wahlkampfs zu setzen. „Wir sind die Underdogs in diesem Rennen“, rief Harris gleich zu Beginn in die Menge. „Doch wir haben einen Moment und wir wissen genau, womit wir es zu tun haben.“ Wieder lauter Beifall. Der Anruf bei Walz, dass sie ihn als Kandidaten für den Vizepräsidentenposten ausgewählt habe, war da noch keine zehn Stunden her.

Es war die Aufgabe des Abends, einen weithin unbekannten amerikanischen Gouverneur aus dem Mittleren Westen in den Augen der Öffentlichkeit zum würdigen Partner im Präsidentschaftswahlkampf zu machen. Und Harris lieferte. Walz sei mehr als nur Gouverneur, begann die Vizepräsidentin. Für seine Frau sei er Ehemann, für seine zwei Kinder Vater, für Veteranen „Sergeant Major Walz“, für die Menschen in Süd-Minnesota sei er Kongressabgeordneter gewesen, für frühere Schüler „Herr Walz“ und für seine damalige Football-Mannschaft „Coach Walz“. In 91 Tagen wiederum – und an dieser Stelle johlte das Publikum endgültig – werde das Land ihn als Vizepräsidenten der Vereinigten Staaten kennen.

Walz bringt Eigenschaften zusammen, die in der aufgeladenen politischen Stimmung in den Vereinigten Staaten häufig als Gegenpole gelten. So besitzt er als Jäger zum Beispiel Waffen, spricht sich aber trotzdem für strengere Waffengesetze aus. Am Dienstag äußerte er in Philadelphia, in Minnesota „glauben wir an den zweiten Verfassungszusatz“, der das Recht auf Waffenbesitz festschreibt, „aber auch an Waffengesetze, die gesundem Menschenverstand entsprechen“. Wenn man über Freiheit rede, gelte das auch für Kinder, die zur Schule gehen können müssten, „ohne im Klassenzimmer erschossen zu werden“.

Die Demokraten appellieren im Wahlkampf an den Gemeinschaftssinn der Amerikaner. Harris hob am Dienstag hervor, „wir sehen in unseren Amerikanern Nachbarn, keine Feinde“. Man werde Wahlkampf für alle machen und nach der Wahl auch für alle regieren. Biden hatte sich darauf verlegt, vor dem Schicksal der amerikanischen Demokratie zu warnen, sollte Trump noch einmal Präsident werden. Harris und Walz mahnen nicht weniger eindringlich vor dem Republikaner, doch sie überlassen ihm in der Kampagne nicht die Hauptrolle. Beinahe wortgleich wiederholte Harris in Philadelphia ihre Ansprache vom Tag unmittelbar nach ihrer Kandidatur: dass sie es als frühere Staatsanwältin gewohnt sei, mit „Typen wie Trump“ umzugehen – mit Betrügern, Vergewaltigern und solchen, „die die Regeln zu ihrem eigenen Vorteil brechen“. Doch, fuhr die Demokratin fort, der Wahlkampf hänge sich nicht allein an Trump auf. Er sei ein „Kampf für die Zukunft“.