Fast auf den Tag genau fünf Monate bevor Russland die Ukraine überfiel, war der Sicherheitsprüfbericht der Sachverständigen endlich fertig. Er war die Voraussetzung, um die umstrittene Nord Stream 2 Gaspipeline zwischen Russland und Deutschland fertigzustellen. Bis zuletzt hatte man in Schwerin für die Gasröhren gekämpft, hatte alle Bedenken der Nachbarn in Polen und in der Ukraine beiseitegewischt, hatte eine „Klimastiftung“ mit vielen Millionen Euro aus Moskau gegründet, um amerikanische Sanktionen gegen die am Bau beteiligten Firmen abzuwehren. Nun war es vollbracht. Der Prüfbericht bescheinigte, dass die in der Verordnung über Gashochdruckleitungen genannten Anforderungen „eindeutig erfüllt“ seien. Damit war die umstrittene Pipeline zertifiziert.
Doch diese Zertifizierung ist zweifelhaft. Vermutlich hätte die Gaspipeline nie genehmigt werden dürfen. Unterlagen, die der F.A.Z. vorliegen, zeigen, dass ein zentraler Mitarbeiter der Firma, die die Projektsteuerung bei der Zertifizierung übernahm, zuvor für Nord Stream 2 gearbeitet hatte. Jene, die halfen, die Pipeline zu bauen, leiteten danach also die Begutachtung von deren Freigabe an. Weiterhin zeigen die Unterlagen, dass es zwischen der Firma und dem für die Freigabe zuständigen Bergamt Stralsund offenbar eine Nähe gab, die weitere Zweifel an der Unabhängigkeit der Prüfung weckt.
An diesem Freitag wird sich der Untersuchungsausschuss zur „Klimastiftung“ im Parlament von Mecklenburg-Vorpommern mit dem Thema befassen. Zur Vernehmung geladen sind zwei Männer mit gleichem Nachnamen. Das ist kein Zufall. Der eine, Steffen Petersen, war damals Geschäftsführer der „Klimastiftung“. Sein Bruder Lasse Petersen wiederum ist Geschäftsführer der BOS Baustoff & Off-Shore Service GmbH. Die Firma erhielt von der „Klimastiftung“ den Auftrag zur Zertifizierung. Eine Anwaltskanzlei teilt im Auftrag der Firma BOS dazu mit, diese habe die Zertifizierung der Pipeline wie auch das Gutachten nicht selbst erstellt. Diese seien durch selbständige weisungsfreie dritte Gutachter erstellt worden.
Als Sachverständiger war zunächst eine andere Firma beauftragt worden, die sprang aber im Januar 2021 ab – mutmaßlich aufgrund drohender amerikanischer Sanktionen gegen Firmen, welche die Pipeline bauten. BOS übernahm und lässt mitteilen, es habe aufgrund des „Sanktionsdrucks“ der USA keinen anderen spezialkundigen Dienstleister gegeben, der bereit gewesen sei, ein Angebot abzugeben.
Zweifel gibt es auch daran, ob der Prüfbericht wirklich unabhängig von BOS verfasst wurde – und nicht auch von Nord Stream 2. In einer E-Mail, die der F.A.Z. vorliegt, schreibt ein Jurist von Nord Stream 2 an B. kurz vor der Fertigstellung des Berichts, er sei die Zusammenfassung und das Ergebnis durchgegangen. „Anbei meine Anpassungsvorschläge“ mit der Bitte um „kurzfristige Durchsicht und ggf. Annahme“. B. antwortet ihm, er werde die Änderungen „ansehen, akzeptieren“ oder sich gegebenenfalls wegen einer Klärung melden. „Dir eine angenehme Nachtruhe.“ B. hatte offenbar im Laufe der Jahre in seinen wechselnden Funktionen auch Mitarbeiter des Bergamts Stralsund näher kennengelernt, an das am Ende der Prüfbericht zur Freigabe versandt wurde.
Das Bergamt Stralsund spielt in der Causa insgesamt eine unrühmliche Rolle. Es soll bei der Bundeswehr im Auftrag von Nord Stream 2 nach Koordinaten der U-Boot-Tauchgebiete der NATO in der Region gefragt haben. So berichteten es Oppositionspolitiker nach einer Sitzung des Untersuchungsausschusses. Weiterhin veröffentlichte das Bergamt als Verschlusssache eingestufte Schusszahlen der Marine. Russland könnte somit das Pipelineprojekt nicht nur insgesamt genutzt haben, um den Westen zu spalten, sondern auch dazu, sicherheitsrelevante Informationen abzusaugen. Die Veröffentlichung sei ein „Versehen“ gewesen, sagte dazu Innenminister Christian Pegel (SPD) im Landtag.
Aber von derlei Versehen und Zufällen gibt es in dem Fall sehr viele. Etwa auch die Tatsache, dass eine Mitarbeiterin des zuständigen Finanzamtes Ribnitz-Damgarten im Februar 2022 Steuerunterlagen der „Klimastiftung“ in einem Kamin verbrannte. Die waren deswegen relevant, weil die von der Landesregierung quasi über Nacht zur Abwehr von Sanktionen gegründete Stiftung 20 Millionen Euro vom Kreml-Konzern Gazprom erhielt, für die eventuell Schenkungsteuer hätte gezahlt werden müssen. Die Affäre brachte auch Ministerpräsidentin Manuela Schwesig in Bedrängnis, deren Vorgänger Erwin Sellering (beide SPD) als Stiftungschef fungierte.
Zu den Merkwürdigkeiten zählt weiterhin, dass sehr viele E-Mails aus der Zeit gelöscht wurden. Vor allem von Innenminister Pegel, der damals noch für Energie zuständig war. Die Satzung der „Klimastiftung“ will Pegel selbst erstellt haben. Aber warum fand sich dann in den Metadaten des digitalen Dokuments die Signatur einer international tätigen Anwaltskanzlei, die damals für die Nord Stream AG gearbeitet hatte? Pegel setzte sich Berichten zufolge immer wieder für die russische Seite ein, versuchte etwa wiederholt, bei Schwesig Termine für Matthias Warnig zu finden, den früheren Stasimitarbeiter, Putin-Vertrauten und Geschäftsführer der Nord Stream AG.
Schwesig und wohl auch der frühere Bundeskanzler und Putin-Freund Gerhard Schröder, Verwaltungsratspräsident der Nord Stream AG, sollen voraussichtlich Anfang nächsten Jahres vor dem Untersuchungsausschuss aussagen. Dessen Arbeit verläuft bisher zäh. „Die ‚Klimastiftung‘ mauert gegenüber dem Untersuchungsausschuss. Wir erhalten viele Unterlagen gar nicht, andere nur geschwärzt“, sagt dazu der Vorsitzende des Untersuchungsausschusses, Sebastian Ehlers (CDU). Der Einsatz Schwesigs für Nord Stream 2 hatte wohl auch politische Gründe, sagt Ehlers. „Mit großer Russlandnähe konnte man damals Wahlen gewinnen.“
Zur Frage der Zertifizierung der Pipeline sagt Ehlers, angesichts der engen Verbindungen zwischen dem Auftraggeber „Klimastiftung“ und der Prüffirma BOS sowie zwischen Nord Stream 2 und BOS stehe die Frage im Raum, ob die Sicherheit der Pipeline wirklich unabhängig geprüft worden sei. Hannes Damm, Obmann der Grünen im Untersuchungsausschuss, sagt, die Nord Stream 2 AG habe sich die technische Genehmigung der Pipeline „rechtswidrig erschlichen“. Die Verantwortlichen hätten sich ihren Sicherheitsbericht „praktisch selbst geschrieben“. „Ein unabhängiger Nachweis für die Dichtigkeit und Stabilität der Pipeline wurde damit nie erbracht.“ So habe die Genehmigung der Pipeline niemals erteilt werden dürfen. Dass dies dennoch geschah, lasse sich nur mit politischem Druck erklären.