Herr Baas, die Krankenkassenbeiträge sind in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen. Ist da endlich ein Ende in Sicht? Die traurige Antwort ist: Nicht von allein, es gibt bei den Beiträgen keine natürliche Grenze nach oben. Seit vielen Jahren steigen die Ausgaben etwa für Medikamente oder Behandlungen deutlich stärker als die Einnahmen. Und es ist keine Änderung in Sicht. Ich gehe deshalb davon aus, dass wir zum Ende des Jahres in der gesetzlichen Krankenversicherung wieder eine Beitragssatzerhöhung sehen werden, derzeit würde ich etwa 0,5 Prozentpunkte schätzen. In der Legislaturperiode der neuen Regierung könnten die durchschnittlichen Beitragssätze 20 Prozent des Bruttoeinkommens erreichen – wenn es keine politischen Gegenmaßnahmen gibt.

Was treibt denn die Kosten so sehr? Das sind mehrere Faktoren, ein großer Teil sind die Ausgaben für Arzneimittel. Die sind allein im vergangenen Jahr um zehn Prozent gestiegen. Da müssen wir ansetzen. Die Pharmakonzerne machen kräftig Gewinne, während das Gesundheitssystem leidet. Diese Unternehmen entwickeln allerdings auch lebensnotwendige Medikamente. Ohne finanziellen Anreiz würden die das nicht tun. Absolut. Wir brauchen Pharmafirmen, die neue Medikamente entwickeln. Und sie sollen damit auch gute Gewinne machen, aber eben nicht völlig überhöhte. Ein Medikament ist nicht wie jedes andere Gut. Wer eine Krebserkrankung hat und eine Behandlung braucht, hat keine Alternative. Ich mache der Pharmabranche auch keine Vorwürfe, es ist klar, dass sie ihre Gewinne maximieren will. Doch mein Job als Krankenkassenchef ist es, mich dafür einzusetzen, dass das auch für alle finanzierbar bleibt.

Medikamente sind ein Preistreiber. Aber da gibt es sicher noch weitere. Gehen die Deutschen womöglich einfach zu häufig zum Arzt? Zumindest häufiger als in anderen Ländern. Aber nicht weil die Deutschen so gern im Wartezimmer sitzen. Sie gehen zum Arzt, weil sie ein Problem haben, nur ist unser Gesundheitssystem nicht sonderlich gut für eine Problemlösungskette aufgestellt. Das heißt: Zu welcher Arztpraxis man geht, basiert oft auf Zufall, Arztpraxen und Krankenhäuser sind schlecht vernetzt. Das führt dazu, dass Patienten unkoordiniert nach Hilfe suchen und zu vielen verschiedenen Praxen gehen.

Vielleicht wollen sie einfach nur eine Zweitmeinung von einem weiteren Experten. Es ist vollkommen okay, sich eine zweite Meinung einzuholen, insbesondere bei weitreichenden Entscheidungen rate ich sogar dazu. Aber es braucht eine Lösung im System, damit die Patienten schneller dorthin geleitet werden, wo sie gut versorgt sind. Das ist besser für sie, würde die Ärzte entlasten und könnte perspektivisch Geld sparen. Im Koalitionsvertrag ist die Idee des Primärarztprinzips festgehalten. Patienten sollen demnach bei Beschwerden erst mal ihre Hausarztpraxis aufsuchen, die die weitere Behandlung koordiniert.

Aber die Hausärzte sind schon überlastet. Auf dem Land gibt es oft nur sehr wenige. Und jetzt sollen noch mehr Patienten zu ihnen kommen? Der Erfolg des Konzepts hängt sehr von der Ausgestaltung ab. Wenn Sie sich etwa Ihr Bein gebrochen haben, ist es natürlich Quatsch, erst zum Hausarzt gehen zu müssen. Oder wenn Sie zur gynäkologischen Vorsorge müssen, sollten Sie dort direkt hingehen können. Aber bei Krankheiten, bei denen die Ursachen nicht eindeutig sind, etwa Kopfweh oder Bauchschmerzen, ist es gut, erst mal zum Hausarzt zu gehen und dann weiter verwiesen zu werden. Damit die Hausarztpraxen dann nicht zur Engstelle werden, braucht es als Ergänzung eine digitale Ersteinschätzung. Auch das steht im Koalitionsvertrag und ist ein guter Ansatz. Über eine App, bei der 116 117 oder am Praxistresen sollten Hilfesuchende schon vor einem Arztbesuch Einschätzung bekommen, ob erst mal eine Wärmflasche ausreichen könnte, ob sie zum Arzt oder direkt zum Notarzt gehen sollten.