Ukraine und Russland: Weg zum Friedensgipfel
Kanzler Scholz fordert verstärkte Friedensbemühungen im Ukraine-Krieg. Friedensforscherin Deitelhoff sieht Bewegung auch auf russischer Seite. Putin habe seine Offerte verbessert.
Am Anfang war der Spott. Eine „Farce“ nannte Sahra Wagenknecht (BSW) den Friedensgipfel in der Schweiz. „Nutzt niemandem!“, urteilte AfD-Chefin Alice Weidel. Von einem „Symbolgipfel“ und einer „verpassten Chance“ sprach der Politikwissenschaftler Johannes Varwick.
Weil Russland zum 100-Staaten-Treffen in den Schweizer Bergen weder eingeladen noch bereit zu kommen war, stand für einen Teil der deutschen Öffentlichkeit schon vor dem Ausrollen des roten Teppichs fest: Das bringt doch alles eh nichts.
Ukraine überrascht mit Angebot an Russland
Aber als die „Hochrangige Konferenz zum Frieden in der Ukraine“ mit einem spektakulären Sonnenuntergang zu Ende ging, war von der Spitze des Bürgenstock etwas zu erkennen, das in all den Monaten des Krieges auf keinem anderen Gipfeltreffen gesichtet wurde: Hoffnung. Die ukrainische Delegation hatte sich dafür ausgesprochen, eine zweite Runde abzuhalten und dazu auch Vertreter Russlands einzuladen. Damit war die verhöhnte, ja verhasste Alpen-Initiative plötzlich keine Einmaligkeit mehr, sondern ein Prozess. Ein Anfang, wie ihn die Schweizer Optimisten erträumt hatten.
Nun galt es, den Augenblick zum Verweilen zu zwingen und die ukrainische Gesprächsbereitschaft festzuhalten. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), der an diesem Tag mehrere Fernsehinterviews gab, stimmte Präsident Wolodymyr Selenskyj in Dauerschleife zu.
Es ist wahr, dass der Frieden in der Ukraine nicht erreicht werden kann, ohne Russland einzubeziehen.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am 15. Juni
Es gab an diesem ersten Tag unterschiedliche Einschätzungen, ob Russland die Einladung annehmen würde, aber selbst den zuversichtlichsten Staatslenkern war klar, dass echte Friedensverhandlungen noch weit entfernt lagen. Also gaben sich die 78 Unterzeichnerstaaten eine Aufgabe.
Kanzler Scholz fordert im ZDF Gespräche über den Frieden in der Ukraine, an denen auch Russland teilnehmen soll. CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter kritisiert das als falsch.
Noch keine großen, sondern kleine Schritte
Um Russland und die Ukraine überhaupt ins Gespräch zu bekommen, sollten Themen vorbereitet werden, bei denen eine Einigung zumindest denkbar erschien. Nach dem Motto: Erst ein paar kleine Schritte, dann ein paar größere und dann, vielleicht, im besten Fall, die großen.
In der Abschlusserklärung des Schweizer Gipfels steht, womit die beteiligten Staaten beginnen wollen. Mit einer Erklärung zum Schutz von Kernkraftwerken und zum Verzicht auf den Einsatz von Atomwaffen. Mit dem Bekenntnis zu freien Seewegen für Handelsschiffe. Mit dem Austausch von Kriegsgefangenen und der Freilassung von deportierten Kindern. Das müsste, so die Hoffnung, auch Russland unterschreiben können.
Ich habe die Aufgabe gestellt, dass wir im November einen fertigen Plan haben. Dann wird alles für den zweiten Gipfel bereit sein.
Wolodymyr Selenskyj, Präsident der Ukraine
Um die bestmöglichen Formulierungen zu finden, halten die Staaten, die in der Schweiz zusammengekommen waren, in diesen Tagen und Wochen Vorbereitungstreffen ab: In Katar, in der Türkei, in Kanada. Fast unbemerkt von der Öffentlichkeit versuchen die Abgesandten, mögliche Hindernisse zu erkennen und zu beseitigen.
Russland beschimpft Schweiz
Ob Russland zusagt, dürfte auch davon abhängen, wo der zweite Gipfel stattfindet. Die Schweiz kommt nicht mehr in Frage. Nachdem bekannt geworden war, dass die Alpenrepublik einen Ukraine-Gipfel abhält, hatte Russlands Außenminister das Land als „nicht mehr neutral“ und „offen feindselig“ bezeichnet. Das staatliche Fernsehen nannte die Schweizer Präsidentin „unfähig“ und „fett“.
Als kürzlich Präsident Narendra Modi zum ersten Mal die Ukraine besuchte, hat Selenskyj Indien gebeten, den Nachfolgegipfel auszurichten. Vertreter des Riesenstaates waren in der Schweiz dabei, haben aber das Abschlussdokument nicht unterschrieben – vielleicht, so mutmaßen deutsche Diplomaten, um sich die Vermittlerrolle offen zu halten.
Keine Verhaftungsgefahr für Putin
Öffentlich hat Modi noch nicht geantwortet, aber seine Regierung unterhält relativ ungetrübte Kontakte nach Moskau. Indien gehört zu den wichtigsten Abnehmern von russischer Rüstung und Energie. Außerdem ist das das Land über die Mitgliedschaft im Staatenbund BRICS nicht nur mit Russland verpartnert, sondern auch mit dessen wichtigstem Verbündeten: China.
Nur eine kleine Rolle dürfte hingegen spielen, dass sich Indien nicht der Rechtsprechung des Internationalen Strafgerichtshofs unterwirft. Zwar hätte Präsident Wladimir Putin in Neu-Delhi keine Verhaftung zu fürchten, aber nicht einmal die hoffnungsvollsten Diplomaten erwarten, dass Russlands Staatschef persönlich auftaucht.
Er wäre froh, wenn „ein Vertreter Russlands“ am nächsten Gipfel teilnehmen würde, hatte Selenskyj gesagt. Und Millionen andere Menschen auch.
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