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Die Liste derer, an denen Donald Trump sich rächen will, ist lang. Mehr als hundertmal hat er im Wahlkampf davon gesprochen, seine politischen Gegner ins Visier zu nehmen, sollte er ein zweites Mal Präsident werden. Im März vergangenen Jahres versprach er seinen Anhängern, ihr Kämpfer zu sein – und wenn ihnen Unrecht geschehen sei, ihre „Vergeltung“. Diese Botschaft schloss ihn selbst mit ein. Wenn Trump im Januar ins Weiße Haus zurückkehrt, wird sich zeigen, ob er seine Drohungen wahr macht. Doch schon jetzt gibt es Menschen, die erfahren haben, was es heißt, wenn der Trump-Kosmos Rache nimmt.

Einer von ihnen ist Alexander Vindman. Der Oberstleutnant und frühere Osteuropa-Fachmann des Nationalen Sicherheitsrats unter Trump wurde im Februar 2020 aus dem Weißen Haus eskortiert. Zwei Tage vorher hatte der republikanisch kontrollierte Senat den Präsidenten im ersten Amtsenthebungsverfahren freigesprochen. Doch Vindman war der Kronzeuge des ersten Impeachments und galt Trump als Verräter. Er hatte 2019 das Telefonat zwischen Wolodymyr Selenskyj und Trump publik gemacht, in dem der Amerikaner den ukrainischen Präsidenten im Gegenzug für Unterstützungen aufforderte, Ermittlungen gegen Joe Biden und seinen Sohn Hunter einzuleiten.

In seiner Autobiographie schreibt Vindman, der als Kind mit seiner Familie aus der Sowjetunion einwanderte, dieses Gespräch habe sein Leben verändert. Es habe „politische Vergeltungsmaßnahmen“ zur Folge gehabt, „die meinen Glauben an das Land zu erschüttern drohten, dem ich so lange gedient habe“. Sein Anwalt äußerte damals, der „mächtigste Mann der Welt“ habe beschlossen, Rache zu üben. Von Trump selbst hieß es nur, Vindman sei „sehr aufsässig“ gewesen und habe den Inhalt seines „perfekten“ Telefonats falsch wiedergegeben. Fünf Monate später schied Vindman nach mehr als zwanzig Jahren aus dem Militärdienst aus. Eine Kampagne von „Mobbing, Einschüchterung und Vergeltung“ habe seine Zukunft im Militär „für immer eingeschränkt“, hieß es. Vindman sei vom Präsidenten und dessen Handlangern schikaniert worden.

In seiner zweiten Amtszeit will Trump sich nur mit Loyalisten umgeben. Dafür spricht auch seine Nominierung des Abgeordneten Matt Gaetz als Justizminister. Gaetz ist für seinen Hang zum Chaos bekannt und auch in der eigenen Partei umstritten, doch ein glühender Anhänger Trumps. Gaetz und Trump sind sich darin einig, die vermeintliche Politisierung der Justiz durch die Biden-Regierung müsse untersucht werden. Der frühere Präsident hatte im Wahlkampf die Ernennung eines Sonderermittlers für Biden und die „gesamte kriminelle Biden-Familie“ angekündigt.

Nach der Wahl beeilten sich nun einige prominente Unterstützer Trumps, den geplanten Rachefeldzug herunterzuspielen. Trump habe keine „Feindeslisten“, beteuerte der Abgeordnete Byron Donalds aus Florida in einem Interview. Doch Trump hat viele Namen genannt: unter anderem den scheidenden Präsidenten Joe Biden, dessen Vizepräsidentin Kamala Harris, den Sonderermittler Jack Smith, Justizminister Merrick Garland, seinen früheren Justizminister William Barr, die Anti-Trump-Republikanerin Liz Cheney und den New Yorker Bezirksstaatsanwalt Alvin Bragg.

Trotzdem äußerte kürzlich auch Jim Jordan, der Vorsitzende des Justizausschusses im Repräsentantenhaus, er glaube nicht an einen Rachefeldzug Trumps. Die Demokraten wiederum hätten es auf Trump abgesehen, „und jeder versteht, was sie getan haben“. Die Republikaner seien als Partei gegen politische Verfolgung, man gehe nur „mithilfe des Gesetzes“ gegen Gegner vor. Doch nicht nur Fälle wie der des Whistleblowers Vindman sind Beweis für Trumps Art, mit unliebsamen Personen umzugehen – schon vor der Wahlniederlage 2020 und vor den vier Anklagen im vergangenen Jahr. Danach verstärkte sich diese Rhetorik angesichts des Vorwurfs der politischen Verfolgung nur. Jetzt könnten darauf Taten folgen.

Trump spricht bei Kritik von „Verrat“

Stephanie Grisham gehörte früher zu denjenigen, die Trump auf seine Gegner ansetzte. Sie war erst Stabschefin der Präsidentengattin Melania Trump und später Sprecherin des Weißen Hauses – die einzige, die in ihrer Amtszeit nicht eine einzige Pressekonferenz hielt. Heute ist Grisham bei Trump in Ungnade gefallen. Nach dem Sturm auf das Kapitol reichte sie angesichts der Untätigkeit Trumps noch am Abend des 6. Januar 2021 ihre Kündigung ein. Später sagte sie im Untersuchungsausschuss des Kongresses aus und schrieb ein Buch: „Was ich im Weißen Haus Trumps gesehen habe“.

In diesem Sommer sagte Grisham im Podcast „This American Life“ : „Ich wusste, ich würde ausgestoßen. Ich wusste, ich würde sofort als Verräterin gelten.“ Es war noch vor dem Wahlsieg Trumps, aber sie sprach schon darüber, in diesem Fall möglicherweise das Land zu verlassen. Sie wisse zwar nicht, wofür, aber könne sich vorstellen, sonst ins Gefängnis zu kommen. „Manchmal mache ich mir sogar Sorgen, ich könnte eines Tages einfach verschwinden.“ In einem weniger schlimmen Fall rechnet sie damit, dass Trump ihr die Steuerbehörde auf den Hals hetzt. Darüber hatte er 2018 nach Aussage seines damaligen Stabschefs John Kelly etwa im Falle zweier FBI-Agenten nachgedacht, die an den Russland-Ermittlungen beteiligt waren.

Grisham pflegte nach eigener Aussage auch privat eine enge Beziehung zu den Trumps und verbrachte Feiertage mit ihnen im Anwesen in Mar-a-Lago. Sie fand es richtig, dass Trump seine Kritiker aggressiv anging. Als er „Never-Trumper“ in einem Tweet 2019 als „menschlichen Abschaum“ bezeichnete, bekräftigte sie diese Aussage in einem Interview und bekam später Lob von Trump. Das sei die Sache, sagt Grisham: „Er gibt dir keine bestimmte Richtung vor. Er sagt nur, geh auf sie los. Und dann überlässt er dir die Drecksarbeit.“

In ihrer Zeit im Weißen Haus stach Grisham auf Trumps Anweisung hin beleidigende Kommentare über frühere Mitarbeiter und politische Gegner an Journalisten durch und verteidigte jeden Ausfall des Präsidenten. Sobald sich jemand gegen Trump aussprach, sprach der von „Verrat“. In anderen Fällen hätten Donald und Melanie Trump ihre Online-Armeen auf Leute gehetzt, berichtete Grisham. Im Podcast erinnert sie sich an eine Szene mit Melania Trump. Sie habe gefragt, ob sie in Reaktion auf Kritik an der First Lady eine Stellungnahme herausgeben solle. Melania Trump habe verneint: „Meine Fans sollen sie sich holen.“

„Auge um Auge“ als liebster Bibelvers

Im Justizministerium fürchtet man mit Trumps Rückkehr das Ende der Unabhängigkeit vom Weißen Haus. Einen Hinweis darauf, wie tiefgreifend die Umwälzungen sein könnten, gab Trumps Vizepräsident J. D. Vance kurz vor der Wahl. Die zweitwichtigste Figur in Trumps Regierung werde nicht er, sondern der Justizminister sein, sagte Vance auf einer Wahlkampfbühne. Mark Paoletta, ein Anwalt mit Verbindungen in Trumps Übergangsteam, schrieb kürzlich auf der Plattform X, Mitarbeiter des Justizministeriums, die „Widerstand“ gegen Trump planten, sollten besser gehen. Sonst drohten Disziplinarmaßnahmen und die Kündigung.

Trump ist bis heute verbittert darüber, dass das Ministerium sich vor vier Jahren nicht seinem Willen beugte, das Wahlergebnis zu seinen Gunsten umzukehren. In seiner Erklärung zur Personalie Gaetz hieß es am Mittwoch denn auch, Gaetz werde die „systemische Korruption“ im Justizministerium „ausmerzen“ und die Nutzung des Justizsystems als „parteipolitische Waffe“ beenden. Dem FBI hat Trump den Kampf angesagt, seit es 2016 Verbindungen seines Wahlkampfteams mit Russland untersucht hatte. Die Razzia in Mar-a-Lago wegen aus dem Weißen Haus mitgenommener Geheimdokumente im August 2022 diente als Bestätigung der Theorie der „politisierten Behörde“.

Es spricht einiges dafür, dass Trump den angekündigten Rachefeldzug wahr machen wird. Schon vor acht Jahren antwortete er im Wahlkampf, nach einem Bibelvers gefragt, der ihn inspiriere: „Auge um Auge“. Das sei zwar nicht besonders freundlich, aber es sei wichtig, „standhaft und stark“ zu sein. Sonst werde man verspottet und ausgenutzt wie die Vereinigten Staaten. Trump muss dabei keine Rücksicht auf seinen Ruf nehmen, er darf 2028 ohnehin nicht noch einmal antreten. Eine gewisse Absicherung für die Zeit nach seiner Präsidentschaft ist auch die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs in diesem Jahr, die Präsidenten lebenslange Immunität vor Strafverfolgung für Amtshandlungen zuspricht.

Kritiker Trumps fürchten derweil nicht nur dessen persönliche Rache. Eingefleischte Anhänger haben sich längst stellvertretend zu seinen Verteidigern aufgeschwungen. Fred Wellman etwa hatte in diesem Jahr plötzlich einen ominösen Pick-up vor seinem Haus im Bundesstaat Missouri stehen. Er ist der frühere Geschäftsführer des Lincoln Project, einer Republikaner-Gruppe gegen Trump. In einem Interview erzählte Wellman kürzlich, ihm sei der Gedanke durch den Kopf geschossen: „Ich bin auf der MAGA-Feindesliste.“ Kurz vorher waren seine persönlichen Daten und die seiner Familie im Internet veröffentlicht worden. Doch Wellman wusste da schon, was die Opposition zu Trump mit sich bringen kann. Im vergangenen Jahr verklagte ihn der Trump-Getreue Michael Flynn, für kurze Zeit Nationaler Sicherheitsberater unter Trump, wegen mehrerer Tweets auf Verleumdung. Die Forderung: 150 Millionen Dollar Schadenersatz.