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Ricarda Lang und Kevin Kühnert: Politische Ambitionen und ihre Grenzen

Sie sind nicht nur die Ursache für die Probleme ihrer Parteien. Sicher, sie haben erfolglose Wahlkämpfe organisiert und desaströse Wahlergebnisse kommentiert. Und ja, sie haben auch Fehler gemacht. Kühnert segnete missglückte Instagram-Posts ab, Lang verschätzte sich bei der Durchschnittsrente. Aber die eigentliche Misere haben die Älteren verzapft, denen sie gedient haben: Olaf Scholz und Robert Habeck.

Kevin Kühnert konnte noch so eloquent in Talkshows die Politik der SPD erklären, gegen das patzige Schweigen des Kanzlers kam er nicht an. Und Ricarda Lang konnte noch so energisch das soziale Gewissen der Partei anmahnen, Habecks Heizungsgesetz zermalmte ihre Glaubwürdigkeit.

Aber die beiden Jungpolitiker sind nicht nur an ihren Chefs gescheitert, sondern vor allem an ihren eigenen Ansprüchen. Sie sind angetreten, um jungen Leuten in der Politik eine Stimme zu geben, stattdessen wenden sich diese nun in Scharen von Grünen und SPD ab. Sie sind angetreten, um innerhalb ihrer Parteien die Generationen zu versöhnen, stattdessen ist die Entfremdung größer als je zuvor. Sie sind angetreten, um den Stil in der Politik zu verändern, und kapitulieren nun vor den brutalen Mechanismen des Tagesgeschäfts.

Es war die Zeit, als ein Youtuber mit blauen Haaren „die Zerstörung der CDU“ verkündete und den Grünen bei der Europawahl ein Rekordergebnis bescherte. Und es war die Zeit, als Kevin Kühnert das Land mit seiner No-Groko-Kampagne in Atem hielt und plötzlich in allen Talkshows saß.

Dass sich da eine neue Generation politisierte, kam für die Älteren derart überraschend, dass die nicht recht wussten, wie sie damit umgehen sollten. CSU-Mann Dobrindt forderte die SPD auf, Kühnerts „Zwergenaufstand“ endlich in den Griff zu kriegen, die „Bild“-Zeitung betitelte den Juso-Chef als „Milchgesicht“, und die Moderatorin Maybrit Illner sprach ihn mehrmals mit „Herr Kleinert“ an.

Auch Ricarda Lang berichtete, wie sie von Journalisten ungefragt geduzt und von älteren Parteikollegen nicht ernst genommen wurde. Im Netz entlud sich der Hass gegen sie – und zielte unoriginellerweise immer auf ihren Körper. Lang wehrte sich, zum Beispiel mit einem Eis in der Hand und einer lächelnden Kampfansage an all die Männer, die Frauen auf ihren Körper reduzieren wollten.

So eroberte sie auch die Herzen ihrer Partei. „Lasst euch niemals von irgendjemandem sagen, dass eure Stimme nichts wert ist“, rief Lang auf dem Grünen-Parteitag 2019, der sie zur stellvertretenden Bundesvorsitzenden wählte.

Dieser Text stammt aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.

Aber die beiden Jungpolitiker sind nicht nur an ihren Chefs gescheitert, sondern vor allem an ihren eigenen Ansprüchen. Sie sind angetreten, um jungen Leuten in der Politik eine Stimme zu geben, stattdessen wenden sich diese nun in Scharen von Grünen und SPD ab. Sie sind angetreten, um innerhalb ihrer Parteien die Generationen zu versöhnen, stattdessen ist die Entfremdung größer als je zuvor. Sie sind angetreten, um den Stil in der Politik zu verändern, und kapitulieren nun vor den brutalen Mechanismen des Tagesgeschäfts.

Es war die Zeit, als ein Youtuber mit blauen Haaren „die Zerstörung der CDU“ verkündete und den Grünen bei der Europawahl ein Rekordergebnis bescherte. Und es war die Zeit, als Kevin Kühnert das Land mit seiner No-Groko-Kampagne in Atem hielt und plötzlich in allen Talkshows saß.

Dass sich da eine neue Generation politisierte, kam für die Älteren derart überraschend, dass die nicht recht wussten, wie sie damit umgehen sollten. CSU-Mann Dobrindt forderte die SPD auf, Kühnerts „Zwergenaufstand“ endlich in den Griff zu kriegen, die „Bild“-Zeitung betitelte den Juso-Chef als „Milchgesicht“, und die Moderatorin Maybrit Illner sprach ihn mehrmals mit „Herr Kleinert“ an.

Auch Ricarda Lang berichtete, wie sie von Journalisten ungefragt geduzt und von älteren Parteikollegen nicht ernst genommen wurde. Im Netz entlud sich der Hass gegen sie – und zielte unoriginellerweise immer auf ihren Körper. Lang wehrte sich, zum Beispiel mit einem Eis in der Hand und einer lächelnden Kampfansage an all die Männer, die Frauen auf ihren Körper reduzieren wollten.

So eroberte sie auch die Herzen ihrer Partei. „Lasst euch niemals von irgendjemandem sagen, dass eure Stimme nichts wert ist“, rief Lang auf dem Grünen-Parteitag 2019, der sie zur stellvertretenden Bundesvorsitzenden wählte. Viele riss sie damit von den Stühlen, doch die knorrigen Realos waren skeptisch angesichts der feministisch-jugendlichen Energie, die sich da entlud.

„Sollte sich die Politik nicht glücklich schätzen, wenn es Nachwuchs gibt?“, fragte die „Bild“-Zeitung damals den Bundestagsveteranen Hermann Otto Solms. Das sei natürlich grundsätzlich zu begrüßen, erwiderte der 77-Jährige. Aber die jungen Leute dürften sich nicht wundern, wenn sie erst einmal kritisch beäugt würden. „Das ist, wie wenn ein neuer Schüler in die Klasse kommt.“

Diese neuen Schüler begnügten sich allerdings nicht damit, nur mitreden zu dürfen. Sie wollten gleich Klassensprecher werden. Sowohl Lang als auch Kühnert ließen ihre Jugendorganisationen hinter sich und strebten an die Spitze ihrer Partei. Sie nahmen so schnell neue Rollen an, dass man kaum hinterherkam. Kühnert wurde vom Juso-Rebell zum Strippenzieher, vom antikapitalistischen Querulanten zum stellvertretenden Parteichef, vom obersten Scholz-Verhinderer zum obersten Scholz-Erklärer. Lang wechselte aus dem Vorstand der Grünen Jugend in den der Mutterpartei, wurde von der queerfeministischen Ikone zur taktierenden Machtpolitikerin, von der Klimademonstrantin zur Energiekrisen-Managerin.

Unvergessen die Szene aus der NDR-Doku, in der Kevin Kühnert seine mehrere Jahrzehnte älteren Schüler Esken und Walter-Borjans coachte. „Ihr habt Lust“, hämmerte er ihnen ein, während sich die Bewerber um den Parteivorsitz eilfertig Notizen machten. „Lust, Lust, Lust.“ So kegelten die Außenseiter schließlich Scholz aus dem Rennen. Und unvergessen ist bei den Grünen auch, wie hart Ricarda Lang nach der Bundestagswahl im Flügelstreit um Posten und Personen schacherte – um sich schon mal die Unterstützung der Linken für den Parteivorsitz zu sichern.

Der Wandel hatte seinen Preis. Mancher Weggefährte von früher war enttäuscht, manch Parteioberer triumphierte umso mehr. Schließlich sind schon viele unten links gestartet und oben rechts gelandet. Wie beruhigend, dass die Aussicht auf Macht noch jeden Rebellen und jede ungestüme Idealistin zähmt. So dachten wohl einige.

Kevin Kühnert versuchte, Freunde und Gefolgsleute auf seinem Weg mitzunehmen. Den Wandel zu erklären. Er wolle weiterhin unbequeme Fragen stellen, sagte er damals bei seiner Rede zum stellvertretenden Parteivorsitzenden, aber im „Wissen darum, künftig noch stärker die Antworten darauf selbst geben zu müssen“. Das war das Eingeständnis: Meckern ist einfach, es besser machen schwer.

„Irgendwann muss man sich entscheiden, ob man mitspielen will oder für immer Querulant bleibt“, sagte Wolfgang Schmidt mal, der engste Vertraute von Olaf Scholz und heutige Kanzleramtsminister. Kühnert hat sich fürs Mitspielen entschieden und als Generalsekretär drei Jahre lang bewiesen, dass er es ernst meint. Für die SPD war das gut. Für Olaf Scholz auch. Erst der Burgfrieden nach dem großen Krach, den Kühnert angezettelt hatte, ermöglichte ihm die Kanzlerschaft.

Aber war es auch gut für Kühnert? Oder musste er seine Loyalität so sehr beweisen, dass am Ende kaum noch was von ihm übrig blieb? Während Franz Müntefering einst neben dem Kanzler und Parteivorsitzenden Gerhard Schröder als Generalsekretär glänzen konnte, musste Kühnert hinter dem Kanzler und gleich zwei Parteivorsitzenden zurücktreten. Ihm blieb nur, durch die Landesverbände zu tingeln und nach innen zu wirken. Und immer nur dann vor die Kameras geschickt zu werden, wenn es wieder eine Wahlschlappe zu verkünden oder die neueste Volte im Ampelstreit zu erklären galt.

Besonders undankbar: einen Kurs auszugeben, den man selbst nicht kennt. Und Entscheidungen zu verteidigen, die man selbst nicht versteht. Immer wieder wurde offenbar, dass der Kanzler seinen Generalsekretär nicht einweihte. Von der Entscheidung, amerikanische Raketen im Land zu stationieren, wurde Kühnert überrascht. Als er zu Beginn des Ukrainekrieges im Fernsehen eisern die Linie verteidigte, keine Panzer zu liefern, wurde er live von der nächsten Eilmeldung überholt. Und ja, sogar Nord Stream hatte er für Scholz verteidigt.

Während Kühnert sich als SPD-Generalsekretär einer dysfunktionalen Ampel abmühte, musste Lang als Grünen-Vorsitzende der Basis ständig neue Schmerzgrenzen zumuten. So wie Kühnert suchte sie nach einer Erzählung, um die Widersprüche in Einklang zu bringen. Sie erklärte den Aktivistinnen in Lützerath, dass sie lieber im Bundestag fürs Klima kämpfe statt in irgendwelchen Baumhäusern. Und sie versicherte den Realos, dass ihr Gendern herzlich egal sei.

Doch während sie den einen zu angepasst wurde, wollten ihr die anderen den Pragmatismus nicht abnehmen. Sie hielten sie insgeheim immer noch für eine Wokeness-Ideologin. Lang konnte machen, was sie wollte. Sie verteidigte die wieder angeworfenen Kohlekraftwerke, die Gasdeals mit Qatar, den Asylkompromiss. Sie sprach über die Gefahren von Islamismus und Migration und nahm sogar Friedrich Merz in Schutz. Die Vorurteile blieben.

So ging all die Kraft, mit der Lang für ihre Themen kämpfen wollte, für einen Kampf drauf, den sie gar nicht gewinnen konnte. Keine Politikerin bekam mehr Hass ab als sie. Schäbige Fotomontagen, fiese Sprüche, ekelhafte Schmähungen. Lang ignorierte diese Angriffe meistens – oder parierte sie mit Humor. Und trotzdem gab es bis zum Schluss Parteifreunde, die den Hass der Angegriffenen selbst anlasteten. Und die sich dann anonym darüber beschwerten, die Vorsitzende zwinge der Partei Debatten über Bodyshaming auf.

Auch Kühnert schien sein Job immer schwerer zu fallen, je störrischer der Kanzler seine katastrophalen Beliebtheitswerte einfach ausblendete. Hinter den Kulissen wurde Kühnert deutlich. Zuletzt konnte man seinen Frust auch öffentlich spüren. Ein Sieg bei der nächsten Bundestagswahl werde „nicht wie ein Wunder passieren“, mahnte er Ende September in der ARD. Dafür müsse der Kanzler schon etwas tun.

Ricarda Lang war angetreten mit dem Ziel, die Grünen zu einer Sozialpartei zu machen. Sie erzählte oft von ihrer Kindheit auf dem Dorf, wo das Auto notwendig war, und von der alleinerziehenden Mutter, deren Geld nicht immer bis zum Monatsende reichte. Sie wollte die Partei endlich auf dem Land und im Osten verankern. Stattdessen sind die Grünen nun aus zwei ostdeutschen Landtagen geflogen und jenseits der großen Städte so verhasst wie noch nie. Das vermurkste Heizungsgesetz, von Habecks Staatssekretär im Studierzimmer ausgetüftelt, wurde zum Sinnbild für einen grünen Klimadirigismus, blind für die Nöte der Menschen. Und ausgerechnet jene Politikerin, die als soziales Gewissen der Grünen angetreten war, wurde zum Gesicht der Krise.

Im Sommer hatte Kühnert gegenüber dem „Spiegel“ den verzweifelten Wunsch geäußert, „dass der Kanzler den Menschen vermittelt: Ich weiß, wo der Alltag anstrengend ist und was euch beschäftigt“. Er setzte hinzu: „Es ist unser Job, ihm dabei zu helfen. Insbesondere meiner.“

Offenbar ließ sich der Kanzler nicht helfen. Und offenbar wollte Kühnert auch nicht mehr.

Habeck wiederum brauchte nach all den Wahlniederlagen ein Signal, das ihn nicht beschädigte. Lang war bereit, das Zeichen zu setzen. Und Verantwortung zu übernehmen, wofür sie keine Verantwortung trug.

Sie hofften, dass ihnen gelingen würde, woran schon so viele gescheitert waren

Sowohl Lang als auch Kühnert wollte mehr, als ihre Parteien geräuschlos zu managen. Sie wollten eine neue politische Kultur leben. Sie glaubten nicht an den alten Spruch von der Steigerungsformel „Feind – Todfeind – Parteifreund“. Sie bewahrten ihre Freundschaften über Grabenkämpfe hinweg. Und sie hofften, dass ihnen gelingen würde, woran schon so viele gescheitert waren: neben der Politik ein normales Leben zu führen mit Freunden beim Abendessen und Ausflügen am Wochenende. Gesund zu bleiben. Nicht am Spitzenamt zu zerbrechen.

Wir kommen ja nicht in Strukturen, um sie für die nächsten 100 Jahre so vorzufinden, wie sie sind“, sagte Ricarda Lang mal. Kevin Kühnert sprach über seine Freundschaft mit Lars Klingbeil als „Treiber für einen Kulturwandel“. Sie wollten nicht werden wie die Politiküberlebenden, die sich sonst so durch die politische Arena schleppten: gezeichnet von Machtkämpfen, verhärtet von Verletzungen, deformiert vom Zynismus.

Doch Kühnert, so sagen es seine Freunde, habe zwischen den durchgetakteten 14-Stunden-Tagen irgendwann die Freude an der Arbeit verloren. Das Korsett des fremdbestimmten Terminkalenders wurde zu eng. Die Gesundheit litt. Kühnert sprach schon öfter davon, dass er sich ein Leben abseits der Politik gut vorstellen könne. Er ist jetzt 35 Jahre alt. Zwanzig Jahre dieses jungen Lebens hat er der Politik gewidmet und Raubbau an sich selbst betrieben. Seine Konsequenz ist radikal: Er tritt nicht nur von Posten des Generalsekretärs zurück, sondern kandidiert auch nicht mehr für den Bundestag. Es ist der vollständige Rückzug aus der Politik, Rückkehr ungewiss.

Langs Schritt ist keine radikale Abkehr von der Politik. Für den Bundestag wird sie wieder kandidieren. Allerdings als Abgeordnete, die nur noch ihrem Gewissen verpflichtet ist. Lang gibt zu, dass sie sich in den Formelkompromissen der Ampel irgendwann nicht mehr wiederfand. Dass sie zwischen den fein austarierten „Wordings“ aus dem Koalitionsausschuss ihre eigentlichen Ziele aus dem Blick verlor. Mit der Erklärung ihres Rücktritts fiel eine große Last von ihr ab, so beschreiben es Freunde. Lang ist nun 30 Jahre alt, vor wenigen Monaten hat sie geheiratet. Vielleicht gibt es ja Wichtigeres als Politik.

Doch was heißt es für die Spitzenpolitik, wenn die Nachwuchstalente gehen? Wie sollen sich Parteien erneuern, wenn die Jüngsten ihre Parteiämter enttäuscht zurückgeben? Und wie soll sich der strapaziöse Politikbetrieb ändern, wenn die Reformer