Die Zukunft der Mobilität: VW-Vorstand Schmall über E-Mobilität
Herr Schmall, VW investiert 15 Milliarden Euro in Batteriezellen. Aber E-Autos verkaufen sich schlecht. Investieren Sie in die Flaute hinein? Höhen und Tiefen sind normal, Transformationen verlaufen nun mal nicht linear. Entscheidend ist die langfristige Entwicklung, und die geht klar in Richtung batterieelektrischer Antrieb. Unser Job ist es, uns auf die Schwankungen vorzubereiten. Deshalb kann ich auch nicht nachvollziehen, wenn es heißt, wir hätten unsere Pläne im Batteriebereich zurückgeschraubt. Wir haben nie gesagt, dass wir im VW-Konzern alle Batterien, die wir benötigen, selbst herstellen wollen. Geplant war von Anfang an, dass wir die Hälfte selbst fertigen und die andere Hälfte zukaufen. Warum gibt VW überhaupt so viel Geld für eigene Batterien aus, wenn Sie die auch von Zulieferern kriegen? Weil die Batterie eine Kerntechnologie des Elektroautos ist. Die ist so wichtig wie der Motor beim Benziner oder Diesel. Aber heute ist die Autoindustrie fast vollständig abhängig von asiatischen Batterieherstellern. Das müssen wir ändern. Prognosen sagen, dass es nächstes Jahr, wenn die erste VW-Zellfabrik starten soll, weltweit fünfmal so viel Produktionskapazität für Batterien gibt, wie benötigt wird. Wichtige Wettbewerber wie Tesla und BYD machen aus guten Gründen ihre eigenen Batterien. Wenn wir in der Batterietechnik in eine Führungsrolle kommen wollen, so wie heute in der Verbrennungstechnik, dann müssen wir sie selbst in die Hand nehmen. Im Moment ist es bildlich gesprochen so: Die westlichen Autohersteller sind nur Passagiere, die hinten im Bus mitfahren. Wohin dieser fährt, das entscheiden andere. Wir müssen selbst ans Lenkrad. Volkswagen hat den Anspruch, bei der Batterie ein Technologieführer zu werden – so wie wir das beim Verbrennungsmotor auch sind. Sie haben allerdings 2021 den Bau von sechs Zellfabriken angekündigt, fünf eigene und eine beim schwedischen Partner Northvolt. Jetzt sind neben Northvolt nur noch drei eigene geplant. Backen Sie kleinere Brötchen? Wir hatten mit unserer Batteriesparte Power Co ursprünglich fünf Zellfabriken mit jeweils bis zu 40 Gigawattstunden pro Jahr geplant, in Summe also bis zu 200 Gigawattstunden. Rechnerisch reicht das für rund 2,5 Millionen E-Autos. Dann ist Nordamerika durch die staatliche Förderung und den niedrigen Strompreis ein hochinteressanter Produktionsstandort geworden. Darauf haben wir reagiert und die Kapazitäten neu verteilt. Wir bauen jetzt weniger Batteriefabriken, dafür aber eine sehr große im kanadischen Ontario. An den drei Standorten in Salzgitter, Valencia und Ontario planen wir aktuell mit bis zu 170 Gigawattstunden. Und damit weniger als die 200 Gigawattstunden, die mal geplant waren. Bis 2030 ist ja noch Zeit. Bei Bedarf können wir unsere Standorte in Valencia und Ontario problemlos erweitern. In Salzgitter ist dagegen schon aus Platzgründen eine Erweiterung schwierig. Ob der Ausbau in Spanien und Kanada kommen wird, weiß ich heute noch nicht. Aber in den sechs Jahren bis 2030 ist das sicherlich machbar, wenn es gebraucht wird. Rücken Sie hier gerade von Ihrem 200-Gigawattstunden-Ziel ab? Nein. Unser Ziel ist nach wie vor realistisch, aber es ist nicht in Stein gemeißelt, der Bau von Batteriezellfabriken ist ja kein Selbstzweck. Der Ausbau der Werke wird davon abhängen, wie sich der Markt für E-Autos entwickelt. Wir sind flexibel. Derzeit zögern die Kunden mit dem Umstieg aufs E-Auto. Hat VW zu einseitig auf das batterieelektrische Fahren gesetzt? Dieser Vorwurf ärgert mich immer wieder. Wir haben früh auf die E-Mobilität gesetzt. Unter den etablierten Autoherstellern ist Volkswagen mit am besten aufgestellt, keiner verkauft mehr E-Fahrzeuge. Gleichzeitig verfügen wir weiter über ein starkes Geschäft mit herkömmlichen Fahrzeugen und Plug-in-Hybriden. Wir können deshalb viel flexibler reagieren als Hersteller, die nur das eine oder das andere bauen. Die Märkte entwickeln sich ja sehr unterschiedlich. In China wurden im Juli erstmals mehr Elektroautos als Verbrenner verkauft. Thomas Schmall, 60, ist seit 2021 Technikvorstand des Volkswagen-Konzerns. Daniel Pilar Aber in Europa und den USA läuft der Verkauf von E-Autos nicht so toll. Machen Sie sich gar keine Sorgen um die Auslastung Ihrer neuen Batteriefabriken? Da gibt es Flexibilitäten. Wir bauen unsere Fabriken nicht auf einen Schlag auf, sondern machen das Zug um Zug in Blöcken zu jeweils 20 Gigawattstunden. Das haben wir von Anfang so eingeplant. Wenn der Bedarf noch nicht da sein sollte, kann ich den Bau eines Blockes auch verschieben und zum Beispiel in Valencia zunächst nur 20 Gigawattstunden bauen statt 40 oder 60. Unser größtes Problem momentan ist ein ganz anderes. Wir sind uns doch einig, dass die Zukunft der E-Mobilität gehört. Diese Transformation kostet unsere Industrie immens viel Kraft. Trotzdem werden die Kunden derzeit von verschiedenen Seiten extrem verunsichert. Denen wird eingeredet: Wir wissen noch gar nicht, ob sich das Elektroauto durchsetzt. Das kann ich einfach nicht nachvollziehen. Manche setzen darauf, Verbrennungsmotoren mit klimaschonenden synthetischen E-Fuels zu betreiben. Klar schauen wir uns auch E-Fuels an, die werden in bestimmten Märkten und für Bestandsfahrzeuge eine Rolle spielen. Aber im Massenmarkt werden sie nicht in den notwendigen Mengen und zu bezahlbaren Preisen zur Verfügung stehen. In der deutschen Politik fordern Union, FDP und AfD, dass in der EU auch über 2035 hinaus Neuwagen mit Verbrennungsmotor verkauft werden dürfen. Liegen die also falsch? Das Verbot ist nicht der entscheidende Punkt. Die eigentliche Frage ist: Gelingt es uns, den Kunden vom Elektroauto zu überzeugen, weil es ihm Vorteile bietet? Also haben Sie kein Problem damit, dass in der Politik gegen das Verbrennerverbot Front gemacht wird? Damit habe ich schon ein Problem, denn damit wird suggeriert, dass es bessere technologische Alternativen zum batterieelektrischen Antrieb gibt, was bei Neuwagen im Volumensegment definitiv nicht der Fall ist. Die Hersteller brauchen Planungssicherheit. Wir haben Milliarden investiert und arbeiten darauf hin, in Europa ab 2035 nur noch elektrisch angetriebene Neufahrzeuge anzubieten. Und wir müssen ehrlich sein: Wenn wir die Elektrifizierung verschieben, dann wird es schwer, unsere CO2-Ziele zu erreichen. Beim Klimaschutz im Autoverkehr gibt es in der Breite keine Alternative zum Elektroauto. Konkurrenten sehen das anders. BMW-Chef Oliver Zipse warnt davor, dass sich die Branche durch die Festlegung auf das batterieelektrische Auto erpressbar mache. Abhängig wird man dann, wenn man die Batterie aus der Hand gibt. Noch mal: Wir brauchen klare Rahmenbedingungen, eine Richtung, in die wir marschieren. Wir können nicht heute sagen, dass wir nach Norden wollen, und morgen heißt es, wir gehen nach Osten, und übermorgen soll es nach Süden gehen. Dann laufen wir nämlich im Kreis. Es heißt, die Deutschen zögerten mit dem E-Auto, weil es zu wenig Ladesäulen gebe. Stimmt das? Das ist inzwischen vor allem eine Frage der Kommunikation. In Wahrheit ist die Ausstattung mit Ladesäulen deutlich besser, als viele glauben. Grob überschlagen haben wir in Deutschland heute etwa 115.000 Zapfsäulen für Verbrennerfahrzeuge, aber mehr als 150.000 öffentliche Ladepunkte für E-Autos. Klar gibt es weiter viel zu tun, aber wir leben nicht in einer Wüste ohne Ladeinfrastruktur. Vielen Kunden sind E-Autos immer noch zu teuer, was an den kostspieligen Batterien liegt. Wann werden die so billig sein, dass E-Autos mit dem Verbrenner mithalten können? Der entscheidende Hebel für die Batteriekosten sind die Rohstoffe und die Batteriechemie. Eisenphosphatbatterien, sogenannte LFP-Zellen, sind deutlich günstiger als die in Europa dominierenden NMC-Zellen. Wir werden diese Technologie deshalb auch bald in unserem Portfolio haben. Tesla und chinesische Hersteller bauen LFP-Batterien schon lange ein. Haben die Europäer diesen Trend verschlafen? Das würde ich nicht sagen, wir hatten zunächst nur andere Prioritäten. In den ersten Jahren der E-Mobilität kam es in Europa vor allem auf möglichst hohe Reichweiten an, und die erreicht man nun mal mit den teureren NMC-Batterien. Inzwischen haben aber viele Autofahrer gemerkt, dass diese Reichweiten für sie gar nicht so wichtig sind. Würden Sie früher auf LFP-Batterien setzen, wenn Sie heute noch mal zu entscheiden hätten? Ja. Für das Einstiegssegment der E-Autos braucht es preisgünstigere Batterien. Werden Sie zum Start Ihrer ersten Batteriefabrik in Salzgitter Ende 2025 LFP-Batterien produzieren? Dazu möchte ich heute noch nichts sagen, damit würde ich der Konkurrenz einen Gefallen tun. Nur so viel: Unsere Einheitszelle ist flexibel. Die Fabriken sind so ausgelegt, dass wir binnen weniger Wochen von NMC auf LFP umstellen können. Und wann bauen Sie die erste Festkörperbatterie, die mehr Reichweite und schnelleres Laden ermöglicht? Noch in diesem Jahrzehnt. Wie stark hängen Ihre Batteriefabriken von chinesischen Rohstoffen ab? Am Anfang werden wir eine chinesisch geprägte Lieferkette haben, das gilt im Übrigen weltweit für alle Zellhersteller. Denn selbst wenn die Rohstoffe von woanders stammen, findet die Verarbeitung bislang vor allem in China statt. Aber wir werden uns Schritt für Schritt auf eigene Füße stellen und eine lokale, robuste Batterie-Lieferkette aufbauen. Wir investieren ja nicht nur in Batteriefabriken, sondern auch in eine eigene Rohstoffversorgung. Damit wir nicht weiter hinten im Bus sitzen, sondern vorne am Steuer.