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Die Macht und Charakter der Tech-Milliardäre: Analyse von Ökonom Acemoglu

Herr Acemoglu, wie konnte Elon Musk so mächtig werden? In den USA sind fast alle Milliardäre mächtig. Wir assoziieren hier Erfolg stark mit Status und Reichtum. Man könnte sich eine Gesellschaft vorstellen, in der ein guter Investor und ein guter Schreiner beide hohes Ansehen genießen. In der alternativen Gesellschaft aber hat der gute Investor einen viel höheren Status, weil er 500 Millionen Dollar verdient und der Schreiner 150.000 Dollar. Wir in den USA sind dem zweiten Modell viel näher. Das ist eines der Geheimnisse des Erfolgs von Silicon Valley: Von Anfang an haben die Investoren viel Geld verdient, und je mehr Geld sie verdienten, desto mehr Status hatten sie. Je mehr Status sie erlangten, desto mehr konnten sie den politischen Diskurs beeinflussen.

Es gab keine Notwendigkeit, dass die Gesellschaft in den 2000er-Jahren neue digitale Plattformen akzeptierte, die bestehende Geschäftsmodelle zerstörten, zum Beispiel das der Taxis durch Uber. Aber die Tatsache, dass die Silicon-Valley-Unternehmer diesen hohen Status und diese Macht hatten, war sehr hilfreich. Hinzu kommt, dass es in den USA so gut wie keine Grenzen gibt, wie man sein Geld für politische Einflussnahme ausgeben kann. Damit wird zumindest einigen dieser Milliardäre der Weg zu einer stärker institutionalisierten politischen Macht geebnet.

Sie haben in einem Beitrag über die „Power of Persuasion“ geschrieben, die Macht, andere zu überzeugen. Und dass die Macht vom gesellschaftlichen Status abhängt, der in Amerika wiederum vom Reichtum abhängt. Wie ist das in Deutschland?Die Frage können Sie besser beantworten als ich. Mein Eindruck ist, dass Geschäftsleute in Deutschland hoch angesehen sind. Frankreich ist ein anderer Fall. Hier spielen die Grandes Écoles, die Elitehochschulen, offenbar eine große Rolle. Absolventen genießen hohes Ansehen unabhängig vom Reichtum. Das zeigt, wie sich sehr unterschiedliche Statushierarchien in verschiedenen Ländern herausbilden können.

Was ist das Problem, wenn Milliardäre mächtig sind? Viele sind Milliardäre, weil sie klug sind. Und es scheint vernünftig, klugen Leuten zu folgen.Eigennutz ist das erste Problem. Wenn wir ihnen zu viel Macht gewähren, werden sie sie in eigennütziger Weise ausnützen. Deshalb haben Demokratien Systeme der Gewaltenteilung entwickelt. Die Menschen sind keine Engel. Man muss sie zügeln. Das zweite Problem ist, dass Menschen, die in einem Sektor erfolgreich sind, nicht zwangsläufig in anderen Sektoren erfolgreich sind. Wenn man sich vor Augen führt, was die Regierung tut, ist das extrem vielfältig. Es reicht von der Personalverwaltung über die Müllabfuhr und die Festsetzung von Steuern bis hin zu Entscheidungen über die Umsetzung von Gesetzen und die Frage nach Krieg oder Frieden. Wenn ich Ihnen jetzt beweise, dass ich der beste Kalligraph der Welt bin, weshalb ich auch eine Urteilskraft in der Frage habe, wie die USA ihr Atomwaffenarsenal einsetzen sollten, würden Sie extrem skeptisch reagieren. Sie werden nicht glauben, dass die wichtige Fertigkeit der Kalligraphie sich in allgemeine Weisheit in geostrategischen Fragen umwandelt.

Aber ist ein Spezialist der Schreibkunst mit einem Unternehmer wie Elon Musk vergleichbar, der doch viel generellere Fähigkeiten mitbringt? Ich bin nicht überzeugt. Ich glaube, dass die moderne Geschäftswelt einige Fähigkeiten hervorbringt. Aber ich glaube nicht, dass diese Fähigkeiten notwendigerweise allgemeine Weisheit darstellen oder notwendigerweise mit Intelligenz in jedem Lebensbereich verbunden sind. Es ist eine der Einbildungen des Silicon Valley, dass man mit einem hohen IQ alles beherrscht und dass die intelligentesten Menschen im Silicon Valley leben. Beides ist falsch.

Praktisch gesehen sind Sie also besorgt, dass Elon Musk von einem Präsidenten Donald Trump zum Leiter einer Kommission gemacht werden könnte, die die Arbeit der Regierung analysiert?Ich weiß es nicht. Wir ignorieren in modernen Diskussionen oft etwas, das die Menschen früher Charakter genannt hätten. Gerade die Deutschen sollten wissen, wie wichtig Charakter ist, seit dem Dritten Reich. Es gab Leute, die enorme Moral zeigten und andere, die nicht mutig genug, dem Leid anderer Menschen unempfindlich gegenüber oder von Eigennutz geleitet waren. Elon Musk hat bewiesen, dass er keinen moralischen Charakter hat. Das würde mich wirklich beunruhigen. Wenn er gleichzeitig viel Macht und Verbindungen hat, muss ich befürchten, dass er Regierungsaufträge ergattert und Behörden und Politiker beeinflusst. Genereller gesprochen denke ich, dass eine ungleiche Verteilung der „Power of Persuasion“ problematisch ist. Unsere schreckliche Politik in Bezug auf soziale Medien, die offensichtlich der psychischen Gesundheit vieler Menschen schaden und demokratische Rechte unterminieren, konnte nur entstehen, weil einige wenige Hightech-Unternehmer Politiker und Journalisten davon überzeugten, dass man sie besser unreguliert lässt. Und das, obwohl sie ein nie da gewesenes soziales Experiment mit unvorhersehbaren Folgen unternahmen. Der brillante Philosoph Michael Sandel kritisiert, dass wir im Namen der Meritokratie eine Gesellschaft geschaffen haben, in der Menschen, die nicht wirtschaftlich erfolgreich sind, weil sie zum Beispiel nicht aufs College gehen oder keine hochlukrativen Jobs bekommen, von der Gesellschaft als Versager angesehen werden. Das führt zu einer Menge sozialer Übel.

Sind Sie also genauso besorgt, wenn es um Bill Gates oder George Soros geht?Ja. Wie kommen Sie darauf, dass etwa Soros all diese Fähigkeiten in gesellschaftspolitischen Fragen hat? Er hat sein Geld durch spekulative Finanzarbitrage verdient. Selbst wenn ich ihm politisch näher stehe, finde ich ihn genauso problematisch wie Musk. Und das gilt auch für Bill Gates.

Sie haben in einem Beitrag auf die Zufälligkeit beim Erwerb von Vermögen und Macht hingewiesen. Können Sie das erklären? In den frühen 2000er-Jahren gab es zwei vielversprechende Plattformen für soziale Medien: Myspace und Facebook. Man könnte argumentieren, dass Myspace sehr gut war. Es war das erste große soziale Medium, es hatte eine innovative Architektur, und es hatte eine Menge attraktiver Funktionen. Die Unternehmer, die Myspace entwickelt haben, waren also ebenso talentiert wie diejenigen, die andere Plattformen geschaffen haben. Facebook setzte auf Klatsch und Tratsch und schaffte soziale Verbindungen, aus Gründen, die meiner Meinung nach nicht unbedingt für das Talent von Mark Zuckerberg sprechen. Er mag das instinktiv gespürt haben, aber das macht ihn nicht intelligenter und nicht zu einem besseren Geschäftsmann. Aber im Ergebnis wurde Mark Zuckerberg Multimilliardär, und die Myspace-Gründer sind vergessen.

Aber der Zufall ist schwer zu bändigen. Wir hätten 80 Prozent Einkommensteuer auf Einkommen über zehn Millionen Dollar erheben können wie in der Vergangenheit. Dann wäre Mark Zuckerberg immer noch ein erfolgreicher Unternehmer und eine schwerreiche Person, aber er hätte nur ein Zehntel des Geldes. Der Fall von Elon Musk zeigt doch, dass wir in den USA ein völlig verrücktes Steuersystem haben. Er kann sein Vermögen anhäufen, weil er keine Steuern zahlt. Er zahlt keine Steuern, weil er kein Einkommen hat. Er erwirtschaftet seinen gesamten Reichtum in Form von Kapitalzuwächsen, und dann leiht er sich Geld auf der Grundlage seiner Aktien und seines Reichtums, um all diese Steuern zu vermeiden. In einer alternativen Welt mit einem weniger irrsinnigen Steuersystem wäre Musk weniger reich und hätte einen geringeren Status, obwohl er genauso klug wäre.

Um noch einmal für Musk in die Bresche zu springen: Er hat mit Tesla die Mobilität elektrifiziert, er mit Neurolink Gelähmten neue Hoffnung gegeben, mit SpaceX die Raumfahrt effizienter gemacht. Vielleicht ist er doch eine Ausnahmeerscheinung?Das glaube ich nicht. Ich respektiere sein großes unternehmerisches Talent. Doch gute Unternehmer sind viele. Musk hatte neben seinen Talenten viel Glück und viel Unterstützung durch den Staat.

Können Sie ein konkretes Beispiel nennen für den Schaden der „Power of Persuasion“?Der Franzose Ferdinand de Lesseps erlangte im späten 19. Jahrhunderts aufgrund seines Erfolges bei der Fertigstellung des Suezkanals einen enormen Status. Er bewies großes Geschick darin, Politiker in Ägypten und in Frankreich zu überzeugen, und erkannte vorausschauend, dass der internationale Seehandel sehr wichtig werden würde. Er hatte großes Glück, weil die technischen Lösungen für den von ihm angestrebten Bau des Kanals gerade rechtzeitig entwickelt wurden, um das Projekt zu retten. Aber was machte Lesseps dann mit diesem Prestige? Er wurde rücksichtslos, unberechenbar und übermütig und trieb das Panamakanalprojekt in eine undurchführbare Richtung, was letztlich zum Tod von mehr als 20.000 Menschen und zum finanziellen Ruin vieler Investoren führte. Große „Power of Persuasion“ lässt Menschen unbeherrscht werden. Das ist die gleiche Dynamik, die wir heute bei vielen Tech-Unternehmern sehen.

Fürchten Sie, dass die Entwicklung Künstlicher Intelligenz (KI) die soziale Hierarchie noch unausgewogener macht?Ja. KI ist eine Ideologie, die eine abstrakte eindimensionale Form der Intelligenz zelebriert. Das halte ich für problematisch. Dazu kommt, dass die Technologie in den Händen einer sehr kleinen Gruppe von Menschen ist, die Aufmerksamkeit und Investitionen auf sich ziehen. Das kann dazu führen, dass die Technologie auch in Bereichen eingesetzt wird, wo sie gar keinen Nutzen bringt.

Wie würden Sie mächtige Tech-Unternehmer bändigen? Wir brauchen bessere Vorschriften, bessere Institutionen und eine breitere Diskussion darüber, wie man in dieser Gesellschaft mit Reichtum und Status umgeht.

Daron Acemoglu ist Ökonomieprofessor am renommierten Massachusetts Institute of Technology (MIT). Er ist Autor bekannter Bücher wie „ Why Nations Fail“ und kritischer Beobachter des technischen Fortschritts.