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Arbeit muss sich lohnen: Lösungen für das gescheiterte Bürgergeld-Modell

In der hitzigen Auseinandersetzung über das Bürgergeld wird oft übersehen, welche Erfolgsgeschichte dieses Hilfesystem, vormals Grund­sicherung für Arbeitsuchende, bis in die jüngste Zeit geschrieben hat. Die Zahl der erwerbsfähigen Deutschen, die ihren Lebensunterhalt darauf stützen (müs­sen), ist in den vergan­genen zehn Jahren um ein Drittel gesunken – von 3,2 auf 2,1 Mil­lionen. So weist es die amtliche Statistik aus.

Die Gesamtzahl der erwerbsfähigen Hilfebezieher verharrt dennoch fast konstant bei vier Millionen, weil mit den großen Migrationsbewegungen ähnlich viele Neuankömmlinge in das System hineingekommen sind, wie Einheimische (mit und ohne Migrationshintergrund) es verlassen haben. Die Jobcenter machen bei allen Widrigkeiten, auch denen einer sprunghaften Sozialpolitik, ihre Arbeit wohl ziemlich gut.

Das muss festgehalten werden, bevor die Fehlersuche beginnt. Tatsächlich hätten alle Parteien gut daran getan, sich mehr für die tägliche Arbeit der Mitarbeiter der Jobcenter zu interessieren, ehe sie die jeweils nächste Kampagne zur x-ten Neuausrichtung der Grundsicherung führen. Das gilt auch für die Unionsparteien, soweit deren Kampagne ein Bild vermittelt, als komme fast niemand mehr aus dem Hilfesystem heraus.

Das rot-grüne Feindbild „Hartz IV“

Dasselbe gilt, das ist die Vorgeschichte, für den rot-grünen Teil der Ampelkoalition, dessen Sozialpolitik immer vom Feindbild „Hartz IV“ dominiert war. Sie folgte der kruden Vorstellung, die eigentliche Bedrohung für arme und arbeitslose Menschen sei nicht der fehlende Zugang zum Arbeitsmarkt, sondern die Gefahr, ein Jobcenter aufsuchen zu müssen. Die besonders in grünen Kreisen beliebte Unterstellung, diese träten die Menschenwürde mit Füßen, hat es bis in den Koalitionsvertrag geschafft.

Die Reform des Bürgergelds spiegelte diese Haltung in manchen Teilen wider. Manches mehr, darunter eine gesetzliche „Vertrauenszeit“ für Verweigerer, fand dank des Widerstands der FDP sowie der Union im Bundesrat dann doch nicht ins Gesetz oder fiel schon vor der Bürgergeldreform wieder weg – etwa das „Sanktionsmoratorium“, dessen Einführung im Frühjahr 2022 zu den ersten sozialpolitischen Großtaten der Ampel zählen sollte.

Allerdings prägte diese Vorgeschichte – damals ganz im Sin­n ihrer Urheber – die öffentliche Wahrnehmung der Reform: weniger Druck auf Ar­beitslose, lieber fördern als fordern.

Es geht auch um Wohngeld und Kinderzuschlag

Das erste Eingeständnis der Ampelregierung, dass etwas mit dem ganzen Paket nicht stimme, folgte im Oktober 2023. Mit einem eilig zusammengebastelten „Jobturbo für Geflüchtete“ machte sie von Amts wegen klar, dass die wohl größte sozialpolitische Aufgabe bei der Reform des Bürgergelds übersehen worden war: Die Qualität von Sozialpolitik erweist sich heute vor allem darin, inwieweit sie mehr als einer Million erwerbsfähigen Flüchtlingen in der Grundsicherung Wege zu einem Leben ohne staatliche Transfers weisen kann.

Eine nüchterne politische Analyse, welche Regeln und Ressourcen das erfordert, fällt leider weiterhin schwer. Denn noch immer ist es so, dass viele sozialpolitische Akteure das Thema nicht einmal sehen oder schon dessen Erwähnung unter Rassismusverdacht stellen – und sei es nur, weil es nicht zu ihrer Agenda des Maximierens von Sozialtransfers passt. Entbrennen als Gegenreaktion dann psychologisierende Faulenzerdebatten, macht das die Aus­ein­an­der­set­zung nicht besser.

Der erste Schritt zu einer besseren Lösung erfordert nicht viel, sondern nur guten Willen und einen klaren Kompass: Die Jobcenter müssen ordentlich ausgestattet sein mit Personal, Fördermitteln und, ja natürlich, Sanktionsmöglichkeiten. Auch brauchen sie mehr Vertrauen in ihre Fähigkeit, im Umgang mit ihren „Kunden“ das Richtige zu tun. Eine Politik, die sie mit ständig wechselnden Vorgaben überzieht, ist Gift. Gleiches gilt für jeden Euro knapper Haushaltsmittel, der in verfassungsrechtlich nicht zwin­gende Erhöhungen des Regelsatzes fließt.

Die Bedeutung von effektiven Lösungen für das gescheiterte Bürgergeld-Modell

Der zweite notwendige Schritt ist weitaus anspruchsvoller. Er betrifft das Problem des „Transferentzugs“: Es darf für Sozialleistungsbezieher keine Zweifel daran geben, dass Arbeit sich stets finanziell lohnt. Heute führen hundert Euro mehr Arbeitslohn aber allzu oft dazu, dass im Gegenzug Sozialtransfers um hundert Euro oder sogar mehr gekürzt werden – mehr Arbeit kann ärmer machen.

Dass dies immer noch sozialpolitische Realität ist und es keine greifbaren politischen Pläne dagegen gibt, ist im Grunde ein Skandal. Der beschränkt sich nicht aufs Bürgergeld, denn für Leistungen wie das Wohngeld und den Kinderzuschlag gilt das Gleiche. Ampelkoalitionäre haben einst ihr missratenes Bürgergeldprojekt mit großen Worten gefeiert. Eine Beseitigung dieser Sozial­staatsfalle würde den Worten von damals ge­recht: Es wäre die größte So­zial­­reform seit mindestens zwanzig Jahren.