Grenzen setzen für den Zustrom von Flüchtlingen in Deutschland
Herr Herrmann, der IS reklamiert die Bluttat von Solingen für sich. Ist der islamistische Terror zurück in Deutschland?Joachim Herrmann: Der islamistische Terror war leider nie weg. Wir haben seit Jahren nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa eine anhaltend hohe Gefahr von Terroranschlägen. Vor allem der Nahost-Konflikt schürt das Gefährdungspotenzial weiter an. Gerade die Terrormiliz Islamischer Staat versucht verstärkt, Terroristen für den Kampf gegen den Westen zu rekrutieren. Leider wird die Liste schrecklicher Anschläge immer länger. Dennoch ist es den Sicherheitsbehörden dank der internationalen Zusammenarbeit auch gelungen, einige Terroranschläge rechtzeitig zu verhindern, wie zuletzt in Österreich.
Wie würden Sie die aktuelle Gefährdungslage für Bayern einordnen?Herrmann: Derzeit haben wir keine konkreten Gefährdungshinweise für Bayern. Jedenfalls sind unsere Sicherheitsbehörden höchst wachsam, wir haben alle Kräfte der bayerischen Polizei sensibilisiert. Polizei und Verfassungsschutz im Freistaat stehen in einem engen und ständigen Austausch mit den Sicherheitsbehörden des Bundes und der anderen Bundesländer. Jeder Hinweis wird akribisch überprüft. Wo notwendig, werden die getroffenen Schutzmaßnahmen für Einrichtungen und Veranstaltungen erhöht, beispielsweise durch mehr Polizeipräsenz.
Gehen Sie noch ohne mulmiges Gefühl auf Volksfeste?Herrmann: Selbstverständlich! Einerseits dürfen wir den Terroristen nicht auf den Leim gehen. Denn das Hauptziel von solchen Anschlägen ist, in der westlichen Welt für Verunsicherung zu sorgen und uns in unserer freiheitlichen Lebensgestaltung zu beeinträchtigen. Anderseits haben wir umfangreiche Sicherheitskonzepte für Großveranstaltungen, die von der Polizei zusammen mit den Veranstaltern und allen beteiligten Behörden erarbeitet und ständig fortgeschrieben werden. Diese beinhalten auch die bereits gültige Rechtslage im Waffenrecht, wonach bei öffentlichen Veranstaltungen keine Waffen oder vergleichbar gefährliche Gegenstände mitgeführt werden dürfen. Auch beim am 21. September startenden Oktoberfest wird ein generelles Messerverbot gelten, das an den Zugängen konsequent kontrolliert werden wird.
Sie haben jahrzehntelange Erfahrung in der Sicherheitspolitik. Wo sind Ihrer Erfahrung nach Hebel, die auch wirklich eine Wirkung erzeugen?Herrmann: Es ist höchste Zeit für einen grundlegenden Kurswechsel in der Migrationspolitik! Wir müssen dem Neuzugang an Flüchtlingen Grenzen setzen. Wir brauchen dringend eine wirksame Eindämmung der illegalen Migration und unbedingt eine Abschiebeoffensive. Die Bundesregierung hat in ihrem Elfenbeinturm die Zeichen der Zeit bislang immer noch nicht erkannt: Trotz vollmundiger Ankündigungen des Bundeskanzlers nach dem schrecklichen Polizistenmord in Mannheim, Straftäter und Gefährder endlich auch nach Syrien oder Afghanistan abzuschieben, sind jetzt fast drei Monate vergangen und nichts ist passiert. Stattdessen setzt die Ampelregierung falsche Schwerpunkte, wohl auch, um von ihrer Untätigkeit beim Thema „Migration“ abzulenken.
Und wo machen wir uns etwas vor – wo bleiben die Forderungen nur leere Parolen?Herrmann: Auch wenn wir uns selbstverständlich mit dem bundesweit besorgniserregenden Anstieg der Messerkriminalität beschäftigen müssen: Es geht bei der schrecklichen Tat von Solingen um islamistischen Terrorismus. Das Ziel, islamistische Anschläge zu verhindern, erreichen wir aber nicht mit einer Diskussion über die Länge von Messern. Ich warne davor, hier allzu große Hoffnungen in ein absolutes Messerverbot in der Öffentlichkeit oder in eine Verschärfung des Waffengesetzes zu setzen, das die Bundesregierung derzeit forciert. Jedenfalls zeigt die Solinger Tat, dass wie schon beim Mannheimer Polizistenmord der Täter ein ohnehin schon in der Öffentlichkeit verbotenes Messer genutzt hat. Es lag also auch hier nicht an fehlenden waffenrechtlichen Verboten. Denn wenn jemand den Entschluss zum Mord gefasst hat, schrecken ihn weder die lebenslange Haftandrohung, noch Messerverbote ab.
Ist der Staat manchmal machtlos?Herrmann: Nein, wir haben einen wehrhaften Rechtsstaat. Das Problem ist eher, dass die Bundesregierung offenbar einfach manche Probleme ausblendet, weil sie nicht in ihre Ideologie passen. Es hapert an vielen Stellen. Beispielsweise hat die Bundesinnenministerin den „Expertenkreis Politischer Islamismus“ aufgelöst. Auch ist sich die Innenministerkonferenz einig, dass wir rechtliche Möglichkeiten brauchen, um Doppelstaatlern, die Terroristen sind oder schwere staatsgefährdende Straftaten begehen, die deutsche Staatsangehörigkeit zu entziehen. Hierzu stellt sich die Ampelregierung aber immer noch taub, nachdem sie die doppelte Staatsangehörigkeit zur Regel gemacht hat.
Der mutmaßliche Täter von Solingen sollte abgeschoben werden, er durfte aber bleiben. Können Sie verstehen, dass Menschen das Vertrauen in die Politik verlieren?Herrmann: Der konkrete Fall muss natürlich von den nordrhein-westfälischen Behörden im Detail geklärt werden. Wenn es vor Ort Defizite gegeben hat, müssen diese umgehend abgestellt werden. Jedenfalls muss der Staat bei Ausländern, die hier nicht bleiben dürfen, Konsequenz zeigen und diese außer Landes bringen. Sonst setzen wir auch die Solidarität der Bevölkerung mit denjenigen aufs Spiel, die in unserem Land völlig zurecht Schutz vor Verfolgung suchen.
In den Blick geraten nun vor allem Geflüchtete aus Syrien und Afghanistan. Ist bei dieser Gruppe das Gewaltpotenzial höher als bei anderen?Herrmann: Das hat nichts mit dem Gewaltpotenzial zu tun, sondern damit, dass derzeit überhaupt gar keine Abschiebungen in diese Länder stattfinden, auch bei Gefährdern und Straftätern nicht. Trotz großer Worte bleibt die Bundesregierung hier die Taten schuldig.
Gehört zur Wahrheit nicht auch, dass das häufig gar nicht möglich ist, nach Syrien oder Afghanistan abzuschieben?Herrmann: Das ist der Punkt, das wäre eben schon möglich. Vor gut einem Monat hat das Oberverwaltungsgericht Münster ein sehr wichtiges und richtungsweisendes Urteil gefällt, wonach für Zivilpersonen in Syrien keine ernsthafte individuelle Bedrohung ihres Lebens oder ihrer körperlichen Unversehrtheit im Rahmen eines Bürgerkriegs mehr besteht. Auch wenn Bundesaußenministerin Baerbock das nicht wahrhaben will: Die Bundesregierung ist jetzt gefordert, eine neue Lagebewertung für Syrien vorzunehmen. Es gibt aktuell keinen Anlass mehr, jedem aus Syrien automatisch Schutz zu gewähren. Daher fordere ich, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge neu ankommenden Syrern keinen subsidiären Schutz mehr gewährt sowie in einem ersten Schritt den subsidiären Schutz bei all den Syrern hier im Land infrage stellt, die schwere Straftaten begangen haben oder als Gefährder gelten.
Seit der größten Welle der Flüchtlingskrise sind inzwischen fast zehn Jahre vergangen. Der mutmaßliche Täter von Solingen war zwar erst seit zwei Jahren im Land, doch es hat den Anschein, als ob wir uns beim Thema Integration darauf verlassen hätten, dass das schon von allein geschieht. Brauchen wir so etwas wie eine Bilanz, um aus Fehlern zu lernen?Herrmann: Das „Augen zu und durch“ der Bundesregierung in der Migrationspolitik muss jetzt ein Ende haben. Vor allem SPD und Grüne müssen einsehen, dass wir uns mit der ungesteuerten Migration immer mehr überfordern und auch immense Sicherheitsprobleme ins Land holen. Die Grenze der Integrationsfähigkeit ist längst überschritten, die Kommunen ächzen unter der Last der vielen Flüchtlinge, die immer noch tagtäglich zu uns kommen.
Zur Person
Joachim Herrmann, 67, ist seit 2007 bayerischer Innenminister und damit länger im Amt als alle seine Vorgänger. Der CSU-Politiker gehört dem Landtag seit 1994 an und zählt zu den wichtigsten Vertrauten von Ministerpräsident Markus Söder.