Krise bei CDU, SPD und BSW
Jetzt braucht es Diplomatie
Landespolitiker von CDU, SPD und BSW wollten trotz Störfeuer aus Berlin weiter für mögliche Koalitionen verhandeln. Doch jetzt hakt es in Sachsen und Thüringen. Eine Zerreißprobe steht an.
Der Knall kommt mit Verzögerung. In Sachsen setzt die SPD am Freitagnachmittag die laufenden Sondierungen mit BSW und CDU aus. Es besteht Klärungsbedarf. Grund dafür ist das Abstimmungsverhalten der Wagenknecht-Partei wenige Stunden zuvor im Landtag.
Dort war es zu einer kuriosen Situation gekommen. Die Abgeordneten sollten erst über die Einsetzung eines Corona-Untersuchungsausschusses auf Antrag der AfD-Abgeordneten entscheiden. Und dann über einen Antrag des BSW für einen weiteren solchen Ausschuss. CDU und SPD finden beide falsch, schonen aber den möglichen Koalitionspartner mit Kritik. Sören Voigt von der CDU lobt im Plenum sogar das BSW dafür, seinen Antrag „mit Empathie, ohne Schaum vorm Mund“ eingebracht zu haben.
Die Freundlichkeit täuscht darüber hinweg, was in Teilen der SPD vorgeht. Denn mehrere BSW-Abgeordnete haben für den Antrag der AfD gestimmt. Das kommt nicht unangekündigt, für die SPD ist es dennoch zu viel. Manche werten auch die Rede von BSW-Chefin Sabine Zimmermann als einen Angriff auf die eigenen Minister.
Und so wird das Aussetzen der Gespräche in Sachsen zum nächsten Akt in einer Geschichte, die sich offenbar immer wieder wiederholt. Kaum ist das Tischtuch zwischen den drei Parteien zusammengenäht, schneidet es irgendjemand neu an. Thüringen ringt um „Friedensformel“
Denn erst am Freitag vor einer Woche musste das BSW in Thüringen erklären, dass es zwar ein mit CDU und SPD mühsam ausgehandeltes Sondierungspapier annimmt. Vor Koalitionsverhandlungen soll aber mit Blick auf die Ukraine-Politik noch eine „Friedensformel“ geeint werden. Darauf hatte Parteichefin Sahra Wagenknecht gedrungen, die zu einer Vorstandssitzung der Thüringer dazugeschaltet war.
Wagenknecht legte zwei Tage später nach und forderte, dass sich die CDU in Sachsen und Thüringen in der Ukraine-Frage von den Positionen ihres Parteichefs Friedrich Merz „abgrenzen“ müsse. Ein Affront, machte sie damit doch nun auch noch den anderen Parteien Vorgaben.
Ausgelöst hatte das eine Rede von Merz im Bundestag. Dort hatte er erneut Taurus-Marschflugkörpern für die Ukraine gefordert, auch um damit, sollte Putin nicht einlenken, Ziele in Russland beschießen zu können. Wagenknecht sieht darin einen Kriegseintritt Deutschlands. Bundes-SPD und -CDU wiesen Wagenknechts Äußerungen als Erpressungsversuch zurück. Gespräche auf der Kippe
In der BSW-Spitze können sie die Aufregung nicht verstehen. Merz habe seinen Leuten doch auch Vorgaben gemacht und stimme sich eng mit diesen ab, heißt es aus Berlin. Seine Rede hätte nicht ohne Erwiderung bleiben können.
Die Partei will unbedingt, dass ihre Forderungen nach einem Ende von Waffenlieferungen an die Ukraine und gegen eine Stationierung von US-Mittelstreckenwaffen in Deutschland Eingang in einen Koalitionsvertrag finden. CDU und SPD würden es gerne bei einem Ruf nach mehr Diplomatie belassen, auch weil es sich um bundespolitische Fragen handelt, die nicht in den Ländern entschieden werden.
Doch das BSW bleibt hart. CDU und SPD müsse klar sein, dass sich das Thema Frieden nicht mit einem faulen Kompromiss beerdigen ließe, heißt es aus Wagenknechts Umfeld. Derweil betonen Beteiligte aus Thüringen fortwährend, dass eine pragmatische Lösung möglich sei.
In der Konsequenz versuchen Thüringer CDU, SPD und BSW seit Montag eine Einigung zu finden. Doch bis Freitag schafft es kein Vorschlag aus Erfurt Wagenknecht zu überzeugen.
Zwar wollen die drei Parteien in den nächsten Tagen noch mindestens ein weiteres Gespräch führen. Ein Abbruch scheint aber so nah wie nie zuvor. Ein Verhandler sagt dem Redaktionsnetzwerk Deutschland, jetzt müssten auch „Alternativen“ zu einer Koalition in Betracht gezogen werden. Wie geeint ist das BSW?
Das BSW steht dabei doppelt im Fokus. Denn es geht auch um das Gerücht, dass sich Wagenknechts Landesverbände verselbstständigen könnten. Katja Wolf nährt diesen Verdacht in einem Interview, kurz nachdem sie weitere Verhandlungen gefordert hatte.
Die Thüringer BSW-Chefin sagte darin: „Frau Wagenknecht ist auf die Bundestagswahl fokussiert und hat Sorge, dass wir durch unseren pragmatischen Thüringer Stil ihr Wahlkampfkonzept einer klaren Abgrenzung zu anderen Parteien kaputt machen.“ Sabine Zimmermann, Wolfs sächsische Kollegin, äußert sich wenige Tage später ähnlich. Beide Frauen wollen das allerdings nicht als Abgrenzung oder gar Bruch mit der Parteichefin verstanden wissen. Auch aus der BSW-Spitze heißt es, man vertraue denn eigenen Leuten.
Doch das ist noch eine zweite, weniger beachtete Aussage Wagenknechts. Sie hat sich auch offen gegen eine Tolerierung einer Regierung durch das BSW ausgesprochen. Die Pragmatiker vor Ort hat das alarmiert, schließlich drohe so politische Instabilität im Freistaat. Das BSW könnte dabei zwischen der Höcke-AfD und den restlichen Parteien zerrieben werden.
Mit einer Regierungsbeteiligung hingegen, noch dazu in drei Bundesländern, könnte das BSW zeigen, wie sich seine Politik konkret umsetzen lasse. Aus Sicht der Regierungsbefürworter würde das der Partei sogar einen Schub zur Bundestagswahl geben. Krisentreffen in Dresden
Auffällig ist auch, dass Wagenknecht offenbar verschiedene Maßstäbe an Sachsen und Thüringen legt. So findet sich im Thüringer Sondierungspapier schon jetzt das Bekenntnis, zum Thema „Frieden in Europa“ eine „Standortbestimmung“ im Koalitionsvertrag zu verfassen. Im Papier aus Sachsen wird das Thema hingegen nur als eine „der drängendsten Fragen unserer Zeit“ genannt. Dennoch intervenierte Wagenknecht hier nicht.
Eine Erklärung dafür ist, dass in Sachsen zu diesem Zeitpunkt nur Kennlerngespräche gelaufen sind. Die jetzt unterbrochenen Sondierungen wurden erst am Dienstag dieser Woche aufgenommen. Die sieben Arbeitsgruppen sollten eigentlich bis Anfang November fertig sein, damit die Parteien dann zu Koalitionsverhandlungen übergehen können.
Bis Anfang Februar muss laut sächsischer Verfassung ein neuer Ministerpräsident gewählt werden. Scheitern die Gespräche, drängt CDU-Chef Michael Kretschmer auf Neuwahlen. Einen letzten Ausweg daraus könnte wohl nur eine CDU-SPD-Minderheitsregierung mit BSW-Tolerierung bieten. Am Montag wollen die Landesspitzen der drei Parteien nun über die Fortsetzung der Sondierung beraten. In Brandenburg rückt Ergebnis näher
Bei all den Wirrungen könnte fast vergessen werden, dass auch Brandenburg eine neue Landesregierung braucht. Hier sondieren nur SPD und BSW gemeinsam. Der kleine Kreis der Verhandler hält bislang nach außen dicht. Wenn sich jemand öffentlich äußert, dann höchstens, um die gute Gesprächsatmosphäre zu betonen. Zu Inhalten wird geschwiegen.
Die Treffen sollen möglichst unbeeinflusst von den Vorgängen in Thüringen und Sachsen ablaufen. Nach mehreren Gesprächen scheint aber auch in Potsdam eine Entscheidung unmittelbar bevorzustehen.