Der Aufruf westlicher und arabischer Staaten für eine Waffenruhe im Libanon ist gescheitert. Israels Luftwaffe setzte auf Befehl von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu ihre Angriffe auf die Hisbollah fort. Die israelische Armee bombardierte einen südlichen Vorort von Beirut, um einen hochrangigen Kommandeur der Miliz zu treffen. Die Hisbollah schoss nach Angaben von Israels Armee weitere Raketen aus dem Libanon auf Israel ab. Die USA und elf europäische und arabische Partner – darunter Deutschland, die EU und die arabische Führungsmacht Saudi-Arabien – hatten in der Nacht zu Donnerstag nach Beratungen bei der UN-Vollversammlung in New York „eine sofortige 21-tägige Waffenruhe“ an der israelisch-libanesischen Grenze verlangt. In diesen drei Wochen solle der Konflikt zwischen Israel und der Hisbollah beigelegt und zudem eine Feuerpause zwischen Israel und der Hamas im Gaza-Krieg vereinbart werden.
600 Menschen wurden seit Beginn der Angriffe nach Regierungsangaben im Libanon getötet. Der Appell soll verhindern, dass Israel in den Libanon einmarschiert. Und damit der Iran als Partner der Hisbollah sowie westliche Länder als Verbündete Israels in den Krieg hineingezogen werden. „Im Libanon bricht die Hölle los“, sagte UN-Generalsekretär António Guterres. Allein seit Wochenbeginn sind bei den israelischen Luftangriffen nach libanesischen Regierungsangaben mehr als 600 Menschen getötet und Zehntausende vertrieben worden.
In ihrem Appell werben die USA und ihre Verbündeten außerdem für die Umsetzung einer UN-Resolution, die nach dem letzten Krieg zwischen Israel und der Hisbollah im Jahr 2006 den Rückzug der Miliz aus dem libanesisch-israelischen Grenzgebiet angeordnet hatte. Die Gruppe schickte nach 2006 trotzdem Truppen und Waffen in die Gegend und schießt seit Beginn des Gaza-Krieges vor knapp einem Jahr fast täglich Raketen auf Israel. Zehntausende Israelis wurden aus dem Grenzgebiet vertrieben. Israel begründet seine Luftangriffe damit, dass die Hisbollah von der Grenze zurückgedrängt werden soll.
Libanons Ministerpräsident Nadschib Mikati begrüßte die internationale Initiative für eine Waffenruhe und sagte, er hoffe auf ein baldiges Ende der Kämpfe. Regierung und Armee im Libanon haben jedoch keinen Einfluss auf die Hisbollah, die mit zehntausenden Kämpfern und Raketen wesentlich stärker ist als die staatlichen Streitkräfte und auch in der libanesischen Politik eine wichtige Rolle spielt. Netanjahu ließ erklären, er habe noch nicht auf den internationalen Appell geantwortet. Vorerst gingen die Gefechte gegen die Hisbollah „mit voller Kraft“ weiter. Außenminister Israel Katz erklärte: „Es wird keine Feuerpause im Norden geben.“
Kurz darauf griff ein israelischer Kampfjet in Dahijeh an, einem südlichen Vorort von Beirut, der als Hochburg der Hisbollah gilt. Der Nachrichtenagentur AFP zufolge wollte Israel mit dem Luftangriff Mohammad Srour töten, den Chef der Hisbollah-Drohnenflotte. Bislang ist nicht bekannt, ob Srour den Angriff überlebt hat. Israel hatte in den vergangenen Tagen mehrere hochrangige Hisbollah-Funktionäre mit gezielten Luftschlägen getötet. Israels Verteidigungsminister Yoav Gallant sagte, Hisbollah-Kämpfer würden „eliminiert“.
Kritiker Netanjahus sagten voraus, Israel werde die Hisbollah und die Hamas mit einer Fortsetzung der Kriege im Libanon und Gaza nicht zerschlagen können. „Leute, die glauben, dass Gott ihnen befohlen hat, als Märtyrer zu sterben, werden nicht kapitulieren“, sagte der israelische Hamas-Experte und frühere Geisel-Unterhändler Gershon Baskin.
Aus den Reihen der Hisbollah verlautete nach Medienberichten, sie sei bereit zu einer Lösung, die ein Ende der Gefechte im Libanon und in Gaza bringe. Eine offizielle Reaktion der Miliz gab es allerdings bisher nicht. Die Hisbollah hat immer noch ein riesiges Waffenarsenal, das sie gegen Israel einsetzen könnte, so der Nahost-Experte Julien Barnes-Dacey.
Die Hisbollah und ihre Schutzmacht Iran sind nach Einschätzung von Experten grundsätzlich zu einer Feuerpause bereit, um sich nach der Zerstörung von Raketendepots und Abschussrampen bei den Luftangriffen der vergangenen Tage vor weiteren Angriffen der militärisch überlegenen Israelis zu schützen. „Die Hisbollah hat immer noch ein riesiges Waffenarsenal, das sie gegen Israel einsetzen könnte“, sagte Julien Barnes-Dacey von der europäischen Denkfabrik ECFR.
Für den Iran geht es vor allem darum, die militärischen Kapazitäten der Hisbollah möglichst intakt zu halten, weil die Miliz als Abschreckungsinstrument gegen mögliche Angriffe auf den Iran selbst dient. Irans Führung äußerte sich nicht direkt zu dem internationalen Appell, wollte aber kein Öl ins Feuer gießen. Präsident Massud Peseschkian sagte laut Staatsmedien am Rande der UN-Vollversammlung, sein Land habe sich in den Konflikten in Gaza und im Libanon bisher zurückgehalten und wolle keine weitere Eskalation.