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Russische Sabotage in Europa: Herausforderung für die Sicherheit

Russland greift Europas Staaten permanent mit hybriden Mitteln an, erklärt Sönke Marahrens, Experte für hybride Kriegsführung. Parallel plane der Kreml, diese Vorbereitungen zur Destabilisierung des Westens auch militärisch „abschließen“ zu können.

Die deutschen Geheimdienstchefs warnten Anfang dieser Woche vor zunehmenden Sabotageakten Russlands in Deutschland. Auch in anderen europäischen Staaten intensiviert Russland sein aggressives Vorgehen. Welche Ziele verfolgt der Kreml damit?
Russland ist stark gebunden in der Ukraine und arbeitet mit hybriden Mitteln in den europäischen Ländern, um die Unterstützung für die Ukraine an der Front zu verringern – damit Russland seine strategischen Ziele in der Ukraine erreichen kann.

Parallel dazu hat Russland ein Interesse, dass Europa nicht stark ist. Deswegen werden derzeit sowohl die Institutionen NATO und EU, aber auch europäische Staaten permanent mit hybriden Maßnahmen angegriffen.

Hybride Bedrohungen richten sich in der Regel gegen systemische Schwächen von Organisationen oder Staaten. Und hier erleben wir unheimlich viele Nadelstiche. Russische Operateure probieren in vielen europäischen Staaten sehr unterschiedliche Dinge aus, die individuell auf den jeweiligen Staat zugeschnitten sind: Hybride Maßnahmen, die in Polen wirken, wirken nicht in Deutschland; was in Deutschland wirkt, würde nicht in Finnland wirken.

Auch in Zukunft müssen wir mit einem sehr breiten Spektrum von Angriffen rechnen. Dabei gibt es grob drei Bereiche von Zielen. Einmal gibt es Angriffe gegen staatliche Institutionen. Hier geht es darum, den Staat in seiner Handlungsfähigkeit einzuschränken, aber auch das Vertrauen der Bevölkerung in den jeweiligen Staat zu senken.

Die zweite Gruppe ist die Wirtschaft: Das sind Sabotageakte auf kritische Infrastrukturen, Cyberangriffe, Ransomware-Attacken. Damit kann die Wirtschaftskraft von Staaten geschwächt und auch Unsicherheit erzeugt werden.

Die letzte Gruppe ist die Bevölkerung. Da unterstützt Russland in der öffentlichen Debatte einander konträre Positionen. Das führt zu einer Radikalisierung – und irgendwann auch zu aggressiven Vorfällen.

In Deutschland sehen wir etwa, dass Russland bestimmte Parteien mit Geld unterstützt und Ähnliches, um hier in die politische Meinungsbildung einzugreifen. So schafft Russland es, uns zu manipulieren. Pluralität ist natürlich keine systemische Schwäche, es ist Teil unserer Demokratie. Diese Angriffsfläche ist also systemimmanent.

Aber die gefährlichste Art der hybriden Kriegsführung ist Desinformation. Dadurch können Meinungen gebildet und Narrative gesetzt werden. Antisemitismus oder extreme politische Ideen können befeuert werden.

Wir benötigen eine grundlegende Befähigung, mit Informationen umzugehen, insbesondere in den sozialen Medien. Da gibt es verschiedene Initiativen, Bürger und Bürgerinnen, insbesondere Jugendliche zu informieren und zu befähigen, Falschinformation, Desinformation, aber auch Informationen, die in einem falschen Kontext gesendet werden, als solche zu identifizieren. Aber wir sind mitten in einer hybriden Auseinandersetzung – da wird jeden Tag etwas Neues ausprobiert.

Auch bei der Abwehr von anderen Arten von Angriffen müssen wir sehr viel auf Flexibilität setzen und die Menschen dafür sensibilisieren, auch auf kleine Anomalien in ihrem normalen Umfeld zu achten.

Es gibt nie 100 Prozent Sicherheit. Auch hier geht es darum, sich für Auffälligkeiten zu sensibilisieren. Und in der Politik gibt es zurzeit die Diskussion darüber, was als kritische Infrastruktur definiert wird. Wie schützen wir das? Aber auch: Sollten solche kritischen Infrastrukturen ausfallen, welche Pläne haben wir dann in den Kommunen und in Firmen? Wir sind in Deutschland auf einem positiven Weg, wir haben das Problem erkannt.

Russland steht jetzt vor der Situation, dass sie massive Verluste in der Ukraine erleiden. Diese müssten sie erst mal ausgleichen. Das gibt uns Zeit.

Aber es ist reichlich bekannt, dass Russland plant, eine eigene Weltordnung aufzubauen, gegebenenfalls mit China. Das wird ja von ihnen auch permanent postuliert. Und dazu gehört bei Russland am Ende auch der Einsatz von Militär.

Der Plan ist, hybride Operationen auch mit militärischen Mitteln abschließen zu können, wie sie das nennen. Die Einzelplanung in Moskau kann ich Ihnen nicht sagen. Aber schauen Sie sich an, wie die baltischen Staaten ihre Verteidigung aufbauen, wo wir ja mit einer Brigade in Litauen unterstützen. Dort versucht Russland, eine Schwachstelle im europäischen System zu finden, um dort Tatsachen zu schaffen, die Europa destabilisieren würden.

Zunächst ist es ein Signal: Wir schauen uns an, wie ihr aufgestellt seid. Es ist eine erste Drohung. Wir unterschätzen das Austauschen dieser Art von Nachrichten: Wir zeigen euch, dass wir wissen, wo eure Kabel sind.

Russland bezweckt damit, dass in westlichen Staaten der Blick sich weg vom Krieg in der Ukraine nach innen richtet. Dass diese sagen, wir müssen jetzt Ressourcen dafür einsetzen, dass wir unsere kritische Infrastruktur schützen – sodass wir dann weniger Möglichkeiten haben, die wir der Ukraine zur Verfügung stellen können.

Das vermeintliche Schüren allgemeiner Kriegsangst ist dagegen schwierig. Es funktioniert vielleicht in Deutschland. Aber sowas kann auch zurückfeuern. Diese psychologischen Aspekte sind immer sehr schwierig vorherzusagen.

Das sieht man in den baltischen Staaten, aber auch in Schweden und Finnland. Als man anfing, Russland als Bedrohung wahrzunehmen, hat die Bevölkerung ja die Regierung unterstützt und gesagt: Wir wollen der NATO beitreten, wir wollen unsere Freiheit behalten – und hat damit das Gegenteil davon getan, was man sich auf der anderen Seite erhofft hat.

Das Gespräch führte Christoph Schwanitz, tagesschau.de.