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Neue Verhandlungen gefordert: FDP nach gescheitertem Asylgipfel

Djir-Sarai hatte am Mittwoch mit einer überraschenden Rede im Bundestag versucht, die Union zurück an den Verhandlungstisch zu locken. Nur einen Tag nachdem die CDU ihre Bereitschaft zum Weiterverhandeln eingestellt hatte, sagte der Generalsekretär im Plenum: „Es gibt keine Ampel in der Migrationspolitik.“ Im Gespräch mit der F.A.S. spitzt Djir-Sarai das zu: „Die größten Schnittmengen haben wir mit der Union – am weitesten entfernt sind wir von der Position der Grünen.“ Diese müssten sich jetzt bewegen. „Auch mit vielen in der SPD geht noch deutlich mehr“, sagte er.

Die Vorgeschichte der Verhandlungen

Im Mittelpunkt der Verhandlungen steht nach wie vor die CDU-Forderung nach einer umfassenden Zurückweisung an den deutschen Grenzen, also auch von Asylbewerbern. Dies soll auch von SPD-Innenministerin Nancy Faeser als „Gamechanger“ bezeichnet worden sein. In der letzten Runde hatten alle Ampelparteien aber rechtliche und politische Einwände formuliert. Als, wie ein Teilnehmer berichtet, „die Koffer schon beinahe gepackt waren“, machte FDP-Justizminister Buschmann einen Vorstoß, der offenbar nicht mit den Ampelpartnern abgestimmt war, aber den CDU-Unterhändlern noch immer nicht weit genug ging. Warum den Merz-Plan nicht als „Pilotprojekt“ anlegen, fragte Buschmann.

Die Position der FDP

Nach dem Verständnis der Union sprach er von einem etwa zwei Kilometer langen Abschnitt an der Grenze zu Frankreich oder den Niederlanden, an der auch Asylbewerber zurückgewiesen werden. Da schon ein derartiger Test die Gerichte beschäftigen dürfte, könnte man, ohne die Nachbarländer zu verprellen, rasch die Rechtmäßigkeit der Maßnahme feststellen, sagte Buschmann. Die Union lehnte das mit dem Argument ab, ein solches Pilotprojekt verfehle den Abschreckungseffekt. Auch stelle ein Verwaltungsgerichtsurteil keine Rechtssicherheit her, weil weitere Instanzen folgen würden. Es kam zum Verhandlungsabbruch.

Nun heißt es bei der FDP, dass der Justizminister nicht die endgültige Linie gezogen habe. Er sei „offen“, auch für weiter gehende Zurückweisungen. Auch in Buschmanns Haus ist zu hören, der Minister habe in den vergangenen Wochen den Eindruck erweckt, als könne er sich „alles vorstellen“. Ob Buschmann damit richtig wiedergegeben wird oder ein FDP-interner Konflikt entstanden ist – unklar. Die „Willensbildung in der FDP“ sei noch nicht abgeschlossen, heißt es im Justizministerium. Auf jeden Fall will Parteichef Lindner mit Merz weiterverhandeln.

Die Entwicklungen nach den Verhandlungen

Nach Djir-Sarais Bundestagsrede und Lindners Einladung signalisierte Merz Bereitschaft, die Verhandlungen wiederaufzunehmen, und formulierte einen Kompromiss: So sei denkbar, die umfassenden Zurückweisungen zunächst auf drei Monate zu begrenzen, um danach eine erste Bilanz zu ziehen. Das wurde von den Liberalen als Entgegenkommen begrüßt. FDP-Fraktionschef Dürr glaubt, dass der Vorschlag die bisherigen Vereinbarungen der Ampel ergänzen könnte: Die Idee der Koalition, neue Zentren an den Grenzen zu bauen und die Rücküberstellungen durch neue Verfahren zu beschleunigen, bleibe auch relevant, wenn an den Grenzen umfassend zurückgewiesen würde. Schließlich sei damit zu rechnen, dass es viele irreguläre Migranten über die grüne Grenze ins Land schafften.

Die Rolle der FDP als Vermittler

Die kleinste Partei in der Koalition versucht offenkundig, sich als Vermittler in Szene zu setzen. Dürr sagte am Freitag im Deutschlandfunk, den Liberalen komme eine solche „Rolle“ zu. Er wies darauf hin, dass die Union für eine große Lösung gebraucht werde, weil am Ende alle Bundesländer mitziehen müssten und auch die EU-Kommission von einer Politikerin geführt werde, die der CDU angehört. Dies ist von Belang, weil Zurückweisungen großen Stils Unruhe in Brüssel schaffen und den Europäischen Gerichtshof ins Spiel bringen könnten. Djir-Sarai deutete sogar an, dass den Liberalen ein Kompromiss mit der Union im Zweifel wichtiger sei als der Zusammenhalt der Koalition. „Das Thema ist größer als die Parteien“, sagte er der F.A.S.

Die Positionen der anderen Parteien

Bei der SPD hält man immerhin die Türen offen, ohne allerdings übertriebene Zuversicht zu verbreiten. Der SPD-Politiker Dirk Wiese, der an allen Treffen beteiligt war, weist den Merz-Vorschlag einer zeitlichen Befristung von Zurückweisungen nicht kategorisch zurück, hält aber fest, dass er „rechtlich sehr schwierig“ bleibe. Man könne „im bisherigen Format sofort wieder reden“, sagte Wiese der F.A.S. Liberalen und Union schwebt eigentlich ein kleineres Format vor, aber daran müsste ein neues Treffen nicht scheitern. Unklar bleibt, ob der Bundeskanzler überhaupt einen weiteren Versuch unternehmen will. Im Bundestag lobte Olaf Scholz in dieser Woche die Kooperationsbereitschaft der Union, unterstellte Merz aber gleichzeitig, ein Theaterstück inszeniert zu haben. Dies wies Merz als „infame Behauptung“ zurück.

Die Entwicklung der Grünen und der SPD in der Migrationspolitik

In der SPD bleiben starke Zweifel, dass umfassende Zurückweisungen selbst nur für drei Testmonate machbar wären. Praktisch sei das „kaum durchsetzbar“, ist aus dem Bundesinnenministerium zu hören: Wenn deutsche Grenzbeamte Migranten zurückwiesen, die Österreicher sie aber auch nicht nähmen: Wo sollten die Menschen dann hin? Auch fürchtet man „enorme Flurschäden“ in der EU durch einen deutschen Alleingang. Wenn überhaupt, sei ein Testlauf nur in Abstimmung mit den Nachbarländern denkbar.

Unterschiedliche Wahrnehmungen herrschen über das Stellungsspiel der Grünen. Einige in der FDP sehen dort eine „Blockade“. Beim anderen Koalitionspartner werden die Grünen für ihre Beweglichkeit gelobt. Schon der erste Gipfel sei nicht an den Grünen gescheitert, heißt es bei der SPD. Öffentlich betonen die Grünen weiterhin ihre Bedenken gegen umfassende Zurückweisungen, versuchen aber den Eindruck zu vermeiden, als stünden sie einem Kompromiss im Weg.

Die Positionen der verschiedenen Parteien und ihr Wandel

Alle beteiligten Parteien legten in den vergangenen Jahren einen langen Weg in der Migrationspolitik zurück. Die Grünen mussten dabei die steinigste Strecke überwinden. Offensiver als jede andere Partei vertraten sie das Idealbild einer multikulturellen Gesellschaft mit offenen Grenzen und profilierten sich in dieser Frage schon in den Achtzigerjahren, als die Flüchtlingszahlen erstmals wieder stiegen. Einig sprach sich die Partei gegen den Asylkompromiss von 1992/1993 aus, obwohl das Thema schon damals zu den Streitpunkten zwischen „Fundis“ und „Realos“ gehörte. „Die einen waren bei uns voll naiver Schwärmerei für Migration jeder Größenordnung, die anderen wussten, dass der Erfolg von Migration etwas mit Zahlen zu tun hat“, erinnert sich Hubert Kleinert, der damals als einer der grünen Vordenker galt, gegenüber der F.A.S. Als die Einwanderungszahlen mehr als 20 Jahre später abermals zum beherrschenden Thema im Land wurden, markierten die Grünen dann den äußersten Pol der Debatte. Begeistert stellten sie sich hinter die „Willkommenskultur“ von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Deren eher nüchternes „Wir schaffen das“ wurde bei Grünen wie Katrin Göring-Eckardt zu einem euphorischen Bekenntnis: „Unser Land wird sich ändern und zwar drastisch. Und ich sag‘ euch eins: Ich freu‘ mich drauf!“, rief sie im Herbst 2015 grünen Delegierten zu.

Die Entwicklung der Grünen und der SPD in der Migrationspolitik

Danach kritisierten die Grünen so gut wie alle Entscheidungen, die auf eine Verringerung irregulärer Migration zielten: den Türkei-Deal, Schließung der Balkan-Route, die Ausweitung der Grenzkontrollen. Seit die Grünen mit an der Regierung sind, nutzen sie ihre koalitionsinterne Macht. Ob schärfere Grenzkontrollen, erleichterte Abschiebungen oder neue Ausweisungen sicherer Herkunftsländer: In jedem einzelnen Fall äußerten sie so lange Bedenken, bis der regierungsinterne oder öffentliche Druck Überhand nahm. Frustriert fügten die Grünen sich im vergangenen Herbst der Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS). Bis zuletzt hatten sie sich gesträubt und im Namen der Humanität für Ausnahmeregelungen plädiert. Heute verweisen sie stolz auf die GEAS, wenn ihnen vorgeworfen wird, sie würden sich aus der migrationspolitischen Verantwortung stehlen. Sollten sie nun auch Zurückweisungen mittragen, die der Migrationsfachmann Daniel Thym unlängst als Beginn einer „europäischen Abschottung“ bezeichnete, wäre das die Umkehr ihres einstigen Ziels offener Grenzen.

Auch bei den Sozialdemokraten dürften einige verblüfft auf die eigene Entwicklung blicken. Immerhin ist ihre Asylpolitik heute in vielen Punkten strikter als die von Horst Seehofer. Die SPD will Migranten notfalls in Grenznähe inhaftieren, was sie lange undenkbar fand. Sie hat mit der GEAS Asylzentren an den EU-Außengrenzen auf den Weg gebracht, woran der CSU-Mann in der großen Koalition noch scheiterte. Sie hat den Ausreisegewahrsam auf 28 Tage verlängert, Seehofer seinerzeit nur auf zehn. Auch die bundesweiten Grenzkontrollen, die Faeser jetzt plant, hatte sie noch vor kurzem als Ende des Schengen-Raums abgelehnt.

Die Positionen und Entwicklungen der Parteien im Vergleich

Manche SPD-Leute wundern sich selbst, wie weit sie schon gegangen sind – trotzdem murrt selbst der linke Parteiflügel erstaunlich wenig. So groß ist der Handlungsdruck durch islamistische Anschläge und die Wahlerfolge der AfD geworden. Mit dem Thema Migration könne man zwar keine Wahl gewinnen, sagt der SPD-Abgeordnete Ralf Stegner, aber sehr wohl eine verlieren. Wenn die SPD wieder „anschlussfähig“ werden wolle, müsse sie bei der Migration jetzt entschlossen „Probleme lösen, ohne Ressentiments zu schüren“.

Eine Volte ganz anderer Art legte die Union hin. Während der Migrationswellen in den frühen 80er Jahren äußerte sich die Partei in schrillen Tönen. Noch 1998, am Ende der Ära Kohl, warnte der damalige Innenminister Manfred Kanther vor einer „illegal und verbrecherisch organisierten Wanderungsbewegung“ kurdischer Flüchtlinge. In den frühen Merkel-Jahren änderte sich dann der Ton. Der hessische Ministerpräsident Roland Koch bekam schon einigen Gegenwind, als er 2008 in einer Wahlkampagne die Jugendkriminalität unter Ausländern thematisierte. Mehrere CDU-Politiker, unter ihnen Armin Laschet und Ruprecht Polenz, protestierten in einem offenen Brief.

Die Entwicklung der Positionen innerhalb der Union

2015 wurde zum Schicksalsjahr der Union. Niemand traute sich, öffentlich gegen den Entschluss der Kanzlerin aufzubegehren, von einer Zurückweisung Zehntausender Flüchtlinge und Migranten abzusehen. Es wurden rasch Hunderttausende. Merkel sagte: „Es liegt nicht in unserer Hand, wie viele nach Deutschland kommen.“ Das Grummeln in der CSU mündete 2018 in einem handfesten Konflikt zwischen Merkel und Seehofer um Zurückweisungen an den Grenzen. Merkel setzte sich mit ähnlichen Argumenten durch, wie sie heute von SPD und Grünen gegen Merz’ Pläne vorgebracht werden: rechtlich und politisch unvertretbar.

Unter Merz trat die Partei dann den kurvenreichen und holprigen Rückweg an und steht nun mit ihren Forderungen ungefähr da, wo sie in den 80er und 90er Jahren war. Allerdings brauchte auch Merz fast drei Jahre, bis er mit der umfassenden Zurückweisung eine nach CDU-Auffassung „wirklich wirksame“ Maßnahme in die Debatte zurückholte. Warum das solange dauerte, wissen auch im Umfeld von Merz nicht alle. Man habe eben auch als Union „ein bisschen Zeit gebraucht“, sagt CDU-Mann Thorsten Frei.

Fazit

Die aktuellen Entwicklungen in der Migrationspolitik zeigen deutlich, dass die verschiedenen Parteien in der Koalition unterschiedliche Positionen vertreten und sich im Laufe der Zeit weiterentwickelt haben. Die FDP versucht als Vermittler aufzutreten und setzt sich für neue Verhandlungen ein, während die Union und die anderen Ampelparteien weiterhin um Kompromisse ringen. Es bleibt abzuwarten, ob es zu einer Einigung kommen wird und wie sich die politische Landschaft in Bezug auf die Migrationspolitik weiterentwickeln wird.