In den neun Jahren als Bürgermeister von Neubrandenburg hat Silvio Witt viel durchgemacht, erzählen seine Kollegen aus dem Stadtrat. Er wurde oft wegen seiner Homosexualität angefeindet und beschuldigt, eine seiner Mitarbeiterinnen zu mobben. Einmal wurde sogar ein Video von ihm geteilt, das ihn beim Tanzen zeigte, und bösartig kommentiert. Trotz all dieser Demütigungen und Anfeindungen hat Witt immer weitergemacht. Bis Donnerstag. Dann kündigte der parteilose Bürgermeister überraschend auf Facebook seinen Rücktritt für Mai nächsten Jahres an.
Witt gab keine Gründe für seinen Rücktritt an und möchte nicht mit der Presse darüber sprechen. Er schrieb jedoch: „Meine Privatsphäre und die meiner Familie und Freunde waren mir immer sehr wichtig, und ich schütze sie. Daher werde ich öffentlich keine weiteren Erklärungen zum Rücktritt abgeben.“
Es wird nun vermutet, dass die Entscheidung des homosexuellen Politikers mit dem Beschluss der Stadtvertretung vom Mittwoch zusammenhängen könnte, das Hissen der Regenbogenflagge vor dem Neubrandenburger Bahnhof zu verbieten. Die Flagge wurde mehrmals gestohlen und teilweise durch eine Hakenkreuzflagge ersetzt. Dieser Vorfall dürfte das Fass zum Überlaufen gebracht haben, sagen Stadtvertreter. Daher war der Rücktritt nicht überraschend.
Witt hatte im Sommer des letzten Jahres klar Stellung zu diesem Thema bezogen. Er erhielt seinen ersten Regenbogenflaggen-Pin im Alter von fünfzehn Jahren und bezeichnete dies als bewegende Zeiten, als homosexuelle Handlungen unter Männern noch verfolgt und bestraft wurden. Das Symbol der Regenbogenflagge steht für Toleranz, Offenheit und Vielfalt. Das Entfernen der Flagge am Bahnhof sei ein Akt der Intoleranz, das Hissen von Nazi-Symbolen ein Tabubruch, so Witt.
Der Unternehmer Tim Großmüller brachte den Antrag ein, das Hissen der Regenbogenflagge zu verbieten. Er wurde mehrmals wegen homophober und rechtspopulistischer Einträge in sozialen Netzwerken auffällig, die oft gegen Witt gerichtet waren. Der Antrag forderte, dass nur noch die Bundes- und Landesflagge gehisst werden dürfe. Vertreter der AfD und rechtspopulistischer Wählergruppierungen stimmten für das Verbot, Vertreter der CDU lehnten den Antrag jedoch ab.
Jutta Wegner, Landtags- und Kreistagsabgeordnete der Grünen, warnte davor, dass die Situation nach dem Rücktritt des Bürgermeisters nicht besser werden dürfte. Es sei schwer, Mehrheiten jenseits der AfD zu finden. Der dominierende Verlag versuche mit Schlagwörtern wie Regenbogenflagge und Homosexualität Auflage zu machen. Wegner warnt davor, dass jeder Rückzug eines Demokraten Platz für einen Antidemokraten schafft.
Michael Stieber, Fraktionsvorsitzender der SPD, sieht die politische Landschaft nach rechts driften. Er versteht Witts Rücktritt als verständlich, da der Druck für viele Kommunalpolitiker unerträglich geworden sei. Björn Bromberger, Fraktionsvorsitzender der CDU, wurde auch oft angefeindet, da er mit einem Mann verheiratet ist. Er sorgt sich nun, dass das Verbot der Regenbogenflagge dem Image von Neubrandenburg schaden könnte, obwohl die Stadt für so viel mehr steht.