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Keine wichtigere Orientierung als der Blick und der Bezug auf Washington, auf den amerikanischen Präsidenten. Oft im Gleichschritt, manchmal mit Reibung. Von den Grundsätzen des deutschen Umgangs mit dem Krieg über Waffenlieferungen bis hin zur Sicherung des eigenen Landes in der Zukunft. Aber Biden besucht jetzt nicht nur zum ersten Mal als Präsident Berlin, sondern auch zum letzten Mal. Es wird ein Abschied vom wichtigsten außenpolitischen Partner für den Kanzler.

Dabei verbindet die beiden keine lange Geschichte, und das, obgleich sie so lange auf herausgehobenen Positionen in der Politik gearbeitet haben. Aber sie waren nicht in Ämtern, die dafür gesorgt hätten, dass ihre Wege sich kreuzten.

Scholz war von Hause aus kein Transatlantiker. Als Biden den Posten des Vizepräsidenten unter Barack Obama innehatte, war Scholz erst Bundesarbeitsminister, dann Hamburger Erster Bürgermeister. Beides keine Funktionen, die häufige Amerikareisen mit sich bringen. Für den Finanzminister traf das schon eher zu. Doch auch da ergaben sich keine engen Bande zu Biden.

Es gab also kein Fundament, auf dem sich mühelos hätte aufbauen lassen, als der Krieg in der Ukraine ausbrach, der die außen- und sicherheitspolitische Agenda des Präsidenten wie des Kanzlers dominiert.

Der junge Olaf Scholz war von Hause aus kein Transatlantiker. Er ist nicht als junger Mann mit dem Rucksack durch die Vereinigten Staaten gereist, mit einem amerikanischen Straßenkreuzer, dem Greyhound-Bus oder per Anhalter, wie es bei Männern seiner Generation nicht unüblich war. Als Jungsozialist war er hingegen in Südamerika, der DDR, der Sowjetunion.

Der SPD-Jugendverband sah in den Achtzigerjahren ohnehin eine Gefahr für den Frieden auf der Welt viel eher durch das Gebaren Washingtons. Wie Scholz dem Verband entwuchs, änderte sich auch das bei ihm. Während es bei seiner Vorgängerin Angela Merkel aber eine Sehnsucht nach Amerika gab, wirkt das Verhältnis von Scholz zum Land der unbegrenzten Möglichkeiten nüchtern.

Das erste Mal ausführlich trafen sich die beiden wenige Wochen später im Weißen Haus in Washington. Weit mehr als hunderttausend russische Soldaten standen da schon an der Grenze zur Ukraine. Die Mahnungen von amerikanischen Geheimdiensten wurden immer dringlicher. Es war klar, dass viel davon abhängen würde, dass die beiden schnell eine gemeinsame Ebene finden. Es fing allerdings nicht allzu einfach an. Das lag an einer Gaspipeline.

Das Kaminfeuer im Weißen Haus sei etwas zu warm gewesen, erinnert sich jemand in Berlin an das Treffen. Mitgereist aus der deutschen Hauptstadt war die Frage, wen man im Weißen Haus antreffen wird. Biden war seit einem Jahr Präsident, weniger als ein Jahr von seinem 80. Geburtstag entfernt, und sein Alter war ein Thema. Doch Scholz soll beeindruckt gewesen sein von dem Gespräch und von diesem Präsidenten, der auch mal etwas tue, das nicht den Empfehlungen seiner Berater entspreche, so wird erzählt.

Es war aber nicht alles wohlig und warm bei diesem Treffen, denn es ging auch um Nord Stream 2, die Gasleitung von Russland nach Mecklenburg-Vorpommern. Was sollte mit der fast fertigen Leitung geschehen, wenn die russischen Soldaten die Grenze zur Ukraine übertreten? Lange schon belastete das Berliner Festhalten an der Pipeline das Verhältnis nach Washington.

Mit dem nahenden russischen Angriff spitzte sich auch in dieser Frage die Lage zu: Wie verlässlich ist Deutschland? Scholz kam als Gejagter nach Washington. Journalisten wollten seit Tagen von ihm wissen, was im Fall der Fälle mit der Pipeline werde. Der Kanzler aber versuchte schon zu vermeiden, deren Namen überhaupt in den Mund zu nehmen. Er springe nicht über Stöckchen, die ihm hingehalten würden, sagte er seinen Diplomaten, die auch etwas verwundert waren über die Weigerung, das Offensichtliche auszusprechen.

Als die russischen Soldaten am frühen Morgen des 24. Februars über die ukrainische Grenze zogen, war das Pipelineprojekt tatsächlich am Ende. Zusammen mit Washington arbeitete Berlin an Sanktionen. Und als Scholz am 27. Februar vor dem Bundestag die Zeitenwende ausrief, warb er für den Ausbau erneuerbarer Energien, kündigte den Bau von zwei Flüssiggasterminals an und sagte: „Eine verantwortungsvolle, vorausschauende Energiepolitik ist nicht nur entscheidend für unsere Wirtschaft und unser Klima, sondern entscheidend auch für unsere Sicherheit.“ Scholz erwähnte in der Rede die nukleare Teilhabe, die Bedeutung einer starken NATO und der Freunde und Partner. Explizit aber erwähnte er weder Amerika noch Biden.

Biden und Scholz sahen und sprachen sich in den ersten Tagen und Wochen nach dem Angriff vor allem in größeren Runden bei Videoschalten, Deutschland saß der G 7 vor. Im März trafen sie sich persönlich wieder im Hauptquartier der NATO und im EU-Rat. Sehr wichtig für ihre Beziehung aber sollte ein erstes Treffen der beiden auf deutschem Boden werden.

Ende Juni 2022 trafen sich die G 7 in Süddeutschland auf Schloss Elmau. Es war das erste Mal, dass Biden als Präsident nach Deutschland kam. Er und Scholz verbrachten viel und den Schilderungen zufolge intensive Zeit miteinander. Hier soll sich das besondere Verhältnis zwischen ihnen herausgebildet haben, heißt es von deutscher Seite. Das entscheidende Thema sei gewesen, dass man die Ukraine so viel wie möglich unterstütze in ihrem Kampf gegen Russland.

Biden und Scholz legten sich in Elmau darauf fest, dass die NATO, Amerika und Deutschland nicht zu Kriegsparteien werden dürften. Man erinnert in Berlin noch heute daran, dass es damals auch andere Stimmen europäischer Anführer gegeben habe, die etwa über Flugverbotszonen nachgedacht hätten. Der Dreisatz, mit dem Scholz den Kurs der deutschen Ukraineunterstützung absteckte – nur im Gleichklang mit den Alliierten, Landes- und Bündnisverteidigung nicht riskieren und keine Kriegspartei werden –, festigte sich so nicht nur immer mehr. Es wurde auch deutlich, dass der Gleichklang vor allem mit Amerika gelten musste. Zwischen Biden und Scholz.

Kurz darauf trafen sie sich schon wieder beim NATO-Gipfel im Juni 2022 in Madrid. Das Bündnis sollte wachsen um Schweden und Finnland, da war man sich einig, ein neues strategisches Konzept wurde beschlossen wie auch der Ausbau der Verteidigungs- und Abschreckungsfähigkeit des Bündnisses. Die Positionen von Washington und Berlin passten zueinander. So wie sie noch heute zueinander passen, wenn es um den ersten Punkt des Siegesplanes des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj geht: die NATO-Mitgliedschaft.

Dass das Verhältnis von Scholz und Biden zwar nicht immer für einen reibungslosen Gleichschritt sorgt, aber doch weit über die Ukraineunterstützung belastbar ist, zeigte sich auch im Sommer. Nicht nur, weil Scholz noch öffentlich von Biden schwärmte, als dieser kurz darauf seine Kandidatur wegen der anhaltenden Zweifel an seinem Gesundheitszustand zurückziehen musste. Oder weil Scholz vom NATO-Gipfel in Washington die ohne öffentliche Debatte ausgehandelte Zusage für die Stationierung amerikanischer Mittelstreckenraketen in Deutschland mitnehmen konnte, die Russland abschrecken sollen und zugleich schon Fakten schaffen, bevor Biden das Weiße Haus verlässt.

Es zeigte sich auch beim Gefangenenaustausch im August. Monatelang hatten die Amerikaner versucht, den amerikanischen Journalisten Evan Gershkovich aus russischer Haft freizubekommen. Moskau machte klar, dass für sie ein Deal nur zustande kommen kann, wenn im Gegenzug der sogenannte Tiergarten-Mörder freikommt. Der aber saß in einem deutschen Gefängnis. Die Amerikaner bezogen die Deutschen in die Verhandlungen ein, es dauerte lange und war kompliziert, am Ende aber soll Scholz Biden persönlich gesagt haben: „Für dich werde ich das versuchen.“

Innenpolitisch war das durchaus ein Risiko für Scholz, immerhin ging es um einen verurteilten Mörder. Als der Austausch gelang, war es ein Triumph für Biden. Er bedankte sich öffentlich beim Kanzler.

Auch jetzt, wenn in Washington kurz vor dem Besuch Bidens in Berlin von der guten Partschaft geschwärmt wird, führt ein ranghoher Regierungsvertreter auch den Gefangenaustausch als ein Beispiel dafür an. Das habe eine bedeutende politische Führung erfordert, sagt er. Der amerikanische Regierungsvertreter sagt auch, dass Biden Scholz „für die unglaubliche Partnerschaft in den letzten Jahren danken“ werde.

Viel Zeit hat er dafür freilich nicht. Am Freitag wird er um zehn Uhr beim Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier erwartet, Biden erhält den höchsten deutschen Orden: die Sonderstufe des Großkreuzes des Bundesverdienstordens. Von mittags an soll er im Kanzleramt sein. Es soll neben Gesprächen mit den Delegationen und am Nachmittag zusammen mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron und dem britischen Premierminister Keir Starmer auch ein Gespräch unter vier Augen geben zwischen Scholz und Biden.

Hat sich das Verhältnis des Kanzlers zu Biden verändert, seit entschieden ist, dass es keine zweite Kandidatur für das Weiße Haus geben wird, sondern Kamala Harris antritt? Angeblich ist das nicht so. Scholz hat Biden einen Brief geschrieben, in dem er ihm Anerkennung für den Schritt zollt, nicht noch einmal zu kandidieren. Und er hat geschrieben, wie gut er die Zusammenarbeit finde. Das wird er ihm am Freitag noch einmal persönlich sagen können. Am frühen Freitagabend soll Biden dann schon wieder zurück nach Washington fliegen.