Finanzierungslücken im Hilfesystem bei häuslicher Gewalt
Seit Jahren steigt die Zahl von Menschen, die von Partnern oder Ex-Partnern erniedrigt und geschlagen werden. Die meisten sind Frauen. Doch die Beratungsstellen geraten immer wieder an die Grenzen der Kapazitäten.
Als alleinerziehende Mutter habe sie sich so sehr gewünscht, einen neuen Partner zu finden und endlich wieder ein Familienleben zu haben, erzählt Sandra*. Doch der Mann, den sie dann trifft und mit dem sie sehr bald auch zusammenzieht, entpuppt sich als Gewalttäter. Sandra sagt, er habe sie zuerst kritisiert und beschimpft und sie von ihren Freunden isoliert.
Bis es dann auch zu körperlicher Gewalt gekommen sei: „Eine Ohrfeige ist zu wenig gesagt. Ich wurde so doll ins Gesicht geschlagen, dass ich ein blaues Auge hatte und das mehrmals.“ Sandra versucht, ihre Verletzungen zu verstecken, doch Nachbarn und Arbeitskollegen sprechen sie darauf an. Sie denkt über eine Trennung nach. „Aber ich habe die ganze Zeit nur gedacht: Ich muss die Zeit durchstehen, ich muss das schaffen für die Kinder.“
Alarmierende Zahlen
So wie Sandra geht es sehr vielen Frauen und auch Männern in Deutschland, schon seit vielen Jahren, quer durch alle Schichten und Altersgruppen.
Zuletzt sind die Zahlen der Fälle von häuslicher Gewalt bundesweit von 240.547 auf 256.276 gestiegen, wie aus dem Bundeslagebild zu Häuslicher Gewalt hervorgeht. Jeden zweiten Tag stirbt mittlerweile eine Frau oder ein Mädchen an den Folgen häuslicher Gewalt. Im Jahr 2023 kamen laut Bundeskriminalamt 247 ums Leben.
Wege aus der Gewalt
Als ihr Partner eines Tages auch einem ihrer Kinder gegenüber gewalttätig wird, flüchtet Sandra zu den Nachbarn und ruft die Polizei. In einem langen und qualvollen Prozess schafft sie den Weg heraus aus der Gewaltspirale.
Das wäre ohne die Hilfe einer Frauenberatungsstelle nicht möglich gewesen, sagt sie: „Sie haben ganz viel fachliche Hilfe geleistet, aber auch mentale Unterstützung. Sie haben mir geglaubt.“
Beratungsstellen unter Druck
Anne Leddin leitet eine solche Interventionsstelle in Stralsund, Mecklenburg-Vorpommern. Jedes Mal, wenn es einen Polizeieinsatz wegen häuslicher Gewalt gibt, bekommen Leddin und ihre Kolleginnen eine Meldung. Sie nehmen dann Kontakt zu der Betroffenen auf. Sie beraten sie, vermitteln Hilfe auch bei Anzeigen und Gerichtsverfahren, kümmern sich auch um mitbetroffene Kinder.
Im relativ ländlichen Kreis Vorpommern-Greifswald versuchen sie eigentlich auch, Frauen zu Hause zu besuchen, um deren Situation und mögliche Gefährdung besser einzuschätzen. „Diese Hausbesuche können wir allerdings überhaupt nicht mehr in dem Umfang machen, wie das eigentlich nötig wäre“, sagt Leddin.
Ihr Team gerät immer wieder an die Grenzen der Kapazitäten, sie schreibt regelmäßig Überlastungsanzeigen. „Wir haben nicht ausreichend Personal. Wir kommen dem Auftrag schon lange nicht mehr in dem Umfang nach, in dem wir es nach dem Konzept hier machen müssten.“ Hätten sie noch vor einigen Jahren noch etwa dreißig bis vierzig Klientinnen pro Monat beraten, seien es heute oft mehr als fünfzig.
Täterarbeit als Opferschutz
Diese Situation kennt auch Vanessa Reupke. Sie arbeitet in Wolfenbüttel in Niedersachsen in der Täterarbeit: Ihr Team bietet Kurse für Gewalttäter an, in denen diese lernen sollen, ihre Wut und ihr Konfliktverhalten besser zu regulieren. Die Täter müssen einige Bedingungen erfüllen, damit sie teilnehmen können – sie dürfen zum Beispiel nicht drogenabhängig sein, sie müssen deutsch sprechen und sie müssen vor allem einsehen, dass sie Verantwortung für ihre Taten tragen.
Daher erreiche das Programm nur einen sehr kleinen Teil aller Täter, sagt Reupke. „Es ist ja so, dass jeden Tag in Deutschland ein Mann versucht, seine Frau oder Ex-Frau umzubringen. Wenn wir durch unser Angebot auch nur einen einzigen dieser Tode verhindern könnten, dann finde ich, hat sich das schon gelohnt“, so Reupke. Allerdings bräuchten auch sie dafür deutlich mehr Geld und Personal.
Finanzierung fehlt oft
Das gesamte Hilfesystem bei häuslicher Gewalt, das alle Schutz- und Beratungseinrichtungen für Männer und Frauen in Deutschland umfasst, ist sehr uneinheitlich finanziert. Grundsätzlich sind die Länder zuständig. Viele Projekte werden zusätzlich von den Kommunen finanziert – oder es gibt eine Mischfinanzierung.
Fast alle Einrichtungen müssen zusätzlich selbst Gelder einwerben, etwa über Spenden. Oft sind die Finanzierungszusagen zeitlich begrenzt. Mitarbeitende berichten, dass sie sehr viel Arbeitszeit für die Organisation der Finanzierung aufwendeten – Zeit, die dann wieder in der Beratungsarbeit fehle.
„Gewalthilfegesetz“ in Arbeit
Auch im zuständigen Bundesfamilienministerium sind die alarmierenden Zahlen der häuslichen Gewalt hinreichend bekannt. Seit vielen Jahren weisen die jeweils zuständigen Ministerinnen darauf hin, dass etwas getan werden müsse. Aktuell arbeitet das Ministerium von Ministerin Lisa Paus an einem „Gewalthilfegesetz“, das einen Rechtsanspruch auf Beratung etablieren würde und dafür sorgen soll, dass der Bund in die Finanzierung der Hilfsangebote einsteigt.
Eine Sprecherin des Ministeriums schreibt Panorama 3: „Das geplante Gewalthilfegesetz soll eine eigenständige fachgesetzliche Grundlage für ein verlässliches Hilfesystem bei geschlechtsspezifischer und häuslicher Gewalt schaffen. Ziel des Gesetzes ist es, Betroffene vor Gewalt zu schützen, Folgen von Gewalt zu mildern und Gewaltprävention voranzubringen.“
Ziel sei es, das Gesetz noch in dieser Legislaturperiode zu verabschieden. Ob das wirklich gelingt, daran haben Kritiker mittlerweile Zweifel. Dabei wäre es so dringend nötig, um das Hilfesystem zu verbessern und weitere Todesfälle zu verhindern.
*Name von der Redaktion geändert
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