Es ist noch nicht so lange her, da konnte sich die Opposition am Streit einer Regierung und an deren schlechten Umfragewerten einfach nur erfreuen. Die Falten auf der Stirn derjenigen, die nicht regierten, sollten die Sorge angesichts des Zustands des Landes zeigen. Darunter lag die Hoffnung, bald selbst wieder an die Macht zu gelangen. Jahrzehntelang ging das in der Bundesrepublik so. Die Mechanismen einer funktionierenden Parteiendemokratie.Wären die Verhältnisse noch so, könnte die Union frohlocken. Der Zustand der Ampel ist inzwischen so, dass es weniger lange dauert, die Felder aufzuführen, in denen sich Sozialdemokraten, Grüne und FDP einig sind (am ehesten noch in der grundsätzlichen Bereitschaft zur weiteren Unterstützung der Ukraine), als die lange Liste der Streitereien durchzugehen. Die beiden jüngsten Beispiele sind der ohnehin in den Mühlen der koalitionären Abstimmung schon weichgespülte dünne Katalog zum Umgang mit der irregulären Migration nach den Attentaten in Mannheim und Solingen und die Uneinigkeit über steuerliche Entlastungen.Nach wie vor aktuell sind die Fragen, ob die FDP ihren Widerstand gegen die von der SPD ganz oben auf ihre Agenda gestellte Rentenreform aufgibt und ob sich die Ampel auf einen Haushalt für das kommende Jahr einigen wird.Die Erfahrung des KanzlersWie in jeder Beziehung, so gilt auch für Koalitionen: Sind sie grundsätzlich stabil, so ist ein Streit kein existenzielles Problem, besonders dann, wenn es um ein inhaltlich eingrenzbares Thema geht. Im Gegenteil kann eine Meinungsverschiedenheit, mit der die Beteiligten lösungsorientiert umgehen, Ausweis der Stabilität des Miteinanders sein. Das Ringen um die Flüchtlingspolitik zwischen CDU und CSU war ein dicker Klotz am Bein der von den Sozialdemokraten ohnehin zunächst nicht gewollten letzten schwarz-roten Koalition Merkels. Dennoch konnten die Regierten den Eindruck haben, die Regierenden seien sich ihrer Gesamtverantwortung für das Land bewusst und steuerten etwa in der so herausfordernden Corona-Pandemie das Schiff leidlich sicher an den Klippen vorbei. Es gab ein Grundvertrauen der Bevölkerung.Die Ampel hingegen hat dieses Vertrauen verspielt. Das liegt nicht einmal an der Unfähigkeit einzelner Akteure. Die ist im Durchschnitt nicht größer oder kleiner als bei Vorgängerregierungen. Kaum ein Kanzler hat auf Landes- und Bundesebene so viel Regierungserfahrung gesammelt wie Olaf Scholz. Er ist ein vernunftbegabter Mann, der kein Interesse hat, das Land vor die Wand zu fahren. Das Problem ist vielmehr, dass es drei Kräfte miteinander zu tun haben, die in ihrem grundsätzlichen Wollen zu unterschiedlich sind.Kämen Rote und Grüne auf einigen Feldern vielleicht noch miteinander zurecht, so gibt es zu viele, auf denen die FDP in eine andere Richtung will. Die anfängliche Schönrederei, die Ampel sei eine ganz große Koalition, die eine noch breitere Klammer als Schwarz-Rot bilde, mit der die Bedürfnisse der Deutschen umfassend befriedigt werden können, erwies sich schnell als Illusion.Söder legt übermütig einen draufWas die Menschen mehr stören dürfte als die Frage, ob sie ihre Häuser etwas früher oder später mit Strom beheizen müssen, ist die zuverlässige Unzuverlässigkeit der Ampel. Schon Angela Merkel hätte lieber „durchregiert“, als ständig Kompromisse schließen zu müssen. Aber dass ausgerechnet Ampel-Kapitän Scholz mit dem markigen Spruch gestartet ist, wer bei ihm Führung bestelle, bekomme sie auch, ist ein Topkandidat für den Witz der Legislaturperiode.Kaum haben sich die Ampelparteien zu einem Kompromiss durchgequält, wird er infrage gestellt. Das Gesetzespaket zur Migrationspolitik soll noch in dieser Woche beschlossen werden. In der Sitzung der SPD-Bundestagsfraktion am Dienstag scheinen die Kritiker so deutlich geworden zu sein, dass der Kanzler die Möglichkeit einer Vertrauensfrage in den Raum stellen musste.Na, da kann die Union sich doch die Hände reiben! Die Umfragen machen eine Neuauflage der Ampel so wahrscheinlich wie eine Radtour zum Mond. Der Vorsitzende der kleinen Unions-Schwester, CSU-Chef Markus Söder, legt übermütig gleich einen drauf und schließt eine Koalition mit den Grünen kategorisch aus. Wir ham’s ja!Als ob die Zustände in Sachsen, Thüringen und Brandenburg nicht schlimm genug wären. Scheitert die Ampel, vorzeitig oder am Wahltag, so ist das Problem doch nicht, dass Scholz in der Liga der Kurzzeitkanzler Erhard und Kiesinger landen würde. Es wäre vielmehr das Fanal dafür, dass die Parteien der Mitte selbst unter dem Eindruck des schnellen und blitzartigen Aufwachsens von AfD und BSW nicht begriffen zu haben scheinen, dass das von ihnen bisher insgesamt zum Wohl des Landes betriebene Modell der Parteiendemokratie in Gefahr ist.
Das Vertrauen in die Ampel: Wie es wiederhergestellt werden kann
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