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Das unglaubliche Überleben einer Zwölfjährigen: Die wahre Geschichte eines Flugzeugabsturzes

Vor 15 Jahren stürzte über dem Indischen Ozean ein Flugzeug ab. 152 Menschen sterben, nur ein zwölfjähriges Mädchen überlebt. Stundenlang treibt die Französin auf einem Wrackteil im Wasser, bis sie gerettet wird. Der Berufungsprozess in Paris endet nun mit einer Verurteilung der Airline.

Bevor Bahia Bakari vom Himmel fiel, drückte sie sich die Nase am Fenster platt, blickte auf die Berge und das Meer unter ihr. Am 30. Juni 2009 saß die Zwölfjährige neben ihrer Mutter im Yemenia-Airways-Flug 626 zu den Komoren, einem kleinen Inselstaat im Indischen Ozean, den ihre Eltern einst verließen, um südlich von Paris ein neues Leben zu beginnen. Ihr Vater hatte lange gespart, um den beiden den Flug zu bezahlen, so erzählt sie es später dem „Spiegel“. Es sei eine Belohnung gewesen, weil Bahia so gut in der Schule war. Der Airbus ging in den Landeanflug auf die Hauptstadt Moroni, als es plötzlich eine riesige Explosion gab. Dann fiel sie vom Himmel ins Meer.

Von den 153 Passagieren und Crew-Mitgliedern des Yemenia-Airways-Flugs 626 überlebte als einzige Bahia. 15 Jahre nach dem Absturz geht in Paris nun ein Berufungsprozess zu Ende. Das Gericht bestätigt die Verurteilung der nationalen Fluggesellschaft des Jemen wegen fahrlässiger Tötung und Körperverletzung aus dem Jahr 2022. Die Airline muss die maximal mögliche Strafe von 225.000 Euro zahlen. Im Prozess gab es 560 Nebenkläger. Wie Bahia und ihre Mutter waren 65 der Opfer Franzosen, die von den Komoren stammten, einer einstigen französischen Kolonie. Die beiden waren zur Hochzeit eines Onkels eingeladen. Sie begannen ihre Reise in Paris, legten einen Zwischenstopp in Marseille ein und landeten schließlich in der jemenitischen Hauptstadt Sanaa, wo sie unvorhergesehen in den Airbus 310 umsteigen mussten. Die Maschine habe nach Toilette gerochen und die Besatzung versucht, mit Zitronenspray dagegen anzukämpfen, erzählt Bahia im Prozess vor zwei Jahren.

Bahias Kampf ums Überleben

Das Wetter war schlecht und es hatte Turbulenzen gegeben, aber Panik sei erst in den letzten Sekunden vor dem Absturz ausgebrochen. Bahia beschreibt, wie sie nach oben gesogen wurde, das Gefühl eines elektrischen Schocks ihren Körper durchströmte und sie das Bewusstsein verlor. Als sie wieder zu sich kam, war es Nacht, sie schwamm alleine im Meer, obwohl sie ihren Ausführungen nach kaum schwimmen konnte und keine Rettungsweste trug. Die Zwölfjährige habe angenommen, sie sei aus dem Flugzeug gestürzt, weil sie ihre Nase zu fest an das Fenster gepresst hatte.

Bahia habe Salz und Benzin geschmeckt, das verschluckte Kerosin in Magen und Lunge gebrannt. Um sie herum trieben Koffer, Tabletts und Wrackteile, sie versuchte, auf eines zu klettern, so schildert sie es. Als das nicht gelungen sei, klammerte sie sich fest. Im Dunkeln habe sie Frauenschreie gehört, die mit der Zeit verstummt seien. „Die Schreie bleiben für immer in mir“, sagt Bahia vor Gericht. Irgendwann sei sie eingeschlafen und erst beim Eintreten der Morgendämmerung wieder aufgewacht, noch immer an das Flugzeugteil gekrallt. Am Horizont habe sie eine Küste gesehen, doch sie zu erreichen, war unmöglich. Bahia habe an Haie gedacht, an den Robinson-Crusoe-Film „Verschollen“ und an ihre Mutter. „Ich stellte mir vor, ich sei aus dem Flugzeug gefallen, und meine Mutter setze nun im Flughafen alle Hebel in Bewegung, um Hilfstruppen zu meiner Rettung aufzutreiben.“

Die Rettung

Zu diesem Zeitpunkt war ihre Mutter wohl bereits tot. Die Regierung der Komoren rief alle verfügbaren Schiffe auf, nach Überlebenden zu suchen, vom Fischerboot bis zur Fähre. Neun Stunden lang trieb Bahia im Wasser, bis eine Gruppe Seeleute das alleine im eiskalten Wasser treibende Mädchen entdeckte. Sie warfen der völlig entkräfteten Bahia einen Rettungsring zu, das Mädchen habe es jedoch nicht geschafft, danach zu greifen, berichtet ein Seemann. Einer von ihnen sei daraufhin ins Wasser gesprungen, habe ihr eine Schwimmhilfe gereicht und an Bord gebracht.

Im Krankenhaus stellten die Ärzte einen Knochenbruch am Auge fest. Ihr Gesicht war stark geschwollen, die Haut vom Salz entzündet. Eine Psychologin habe dem Mädchen mitgeteilt, dass ihre Mutter wahrscheinlich verstorben war. Am nächsten Tag brachte sie ein Privatjet der französischen Regierung zurück nach Paris. Begleitet wurde sie vom damaligen Entwicklungsminister Alain Joyandet, der ihr Überleben als „wahres Wunder“ bezeichnete. Sie selbst nannte es später „Schicksal“. Der Verlust der Mutter hinterließ in der Familie Bakari eine klaffende Wunde. „Wir tun, was wir können, versuchen, nicht darüber zu reden. Aber jeder sieht den Platz am Tisch, der immer leer bleibt“, sagte Vater Kassim Bakari einige Monate nach dem Unglück. Auf Wirken des französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy zogen der Vater und die vier Kinder um, in eine 120-Quadratmeter-Sozialwohnung.

Die Folgen des Unglücks

Die Aufarbeitung der Katastrophe dauerte 13 Jahre. Franzosen mit komorischen Wurzeln protestierten gegen Yemenia Airways und ihre „Schrottflugzeuge“. Sie versuchten am Flughafen Menschen davon abzuhalten, in einen Flieger der Airline zu steigen. Tatsächlich war die Unglücks-Maschine altersschwach. Eine Passagiervereinigung hatte bereits Monate zuvor auf den schlechten Zustand der Flugzeuge auf der Strecke aufmerksam gemacht. Allerdings war der Unfall den Experten zufolge nicht auf den Zustand der Maschine zurückzuführen. Eine Auswertung des Flugschreibers ergab, dass der Absturz einer Reihe von Pilotenfehlern geschuldet war. Die Vorsitzende Richterin stellte 2022 fest, dass Yemenia Airways zwar alle Vorschriften eingehalten habe, es aber „zwei Fälle von Fahrlässigkeit gebe, die in direktem Zusammenhang mit dem Unfall stünden“. Sie bemängelte die Fortsetzung von Nachtflügen nach Moroni, obwohl mehrere Leuchtsignale des Flughafens ausgefallen waren. Zudem habe es bei einem Co-Piloten „Schwachstellen“ in der Ausbildung gegeben. Das Gericht verurteilte die Airline außerdem dazu, das Urteil zwei Monate lang in den Flughäfen von Marseille und Paris auszuhängen.

Inzwischen ist Bahia Bakari 28 Jahre alt, lebt in einem Vorort von Paris und arbeitet als Immobilienagentin. Im Jahr 2010 veröffentlichte sie ein Buch über ihre Tortur. Ein Angebot von Steven Spielberg, ihre dramatische Geschichte zu verfilmen, schlug sie aus mit der Begründung, dass niemand ihre Schmerzen nachspielen könne. Von Yemeni Airways erwartet Bahia indes nichts mehr. „Man hätte von dem Flugunternehmen wenigstens eine Entschuldigung erwarten können“, sagt sie im Prozess. Die gibt es bis heute nicht.