Die Revolution im argentinischen Wohnungsmarkt: Milei verdoppelt Angebote
Öffnete Ivàn Ginevra in seinem Büro in der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires vor neun Monaten ein Immobilienportal, fand er je nach Stadtviertel manchmal nur ein einziges Angebot. Heute sind es oft mehrere Hundert freie Mietwohnungen. Den Anstieg führt Ginevra, Präsident der argentinischen Immobilienkammer, auf einen Mann zurück: Javier Milei. Als der argentinische Präsident im Dezember 2023 sein Amt antrat, unterschrieb er umgehend ein umfassendes Dekret. In dem 83-seitigen Dokument ging es vor allem um eins: Deregulation. Weniger Staat, mehr freier Markt. Mit diesem Plan will Milei Argentinien aus seiner lang andauernden schweren Wirtschaftskrise holen und die dreistellige Inflationsrate senken.
Ein Gesetz mit vielen Hürden
Dabei macht er auch vor dem Wohnungsmarkt nicht Halt. Mit dem Dekret nahm Milei ein Gesetz zurück, das dort strenge Vorgaben für Vermieter machte. So musste die Mindestzeit jedes Mietvertrags bei mindestens drei Jahren liegen. Die Kaution durfte maximal eine Monatsmiete betragen. Mieterhöhungen sind einmal im Jahr möglich und nur nach staatlich vorgeschriebenen Tarifen. Viele ließen ihre Wohnungen lieber leer stehen, als sich der Bürokratie zu stellen.
Bei der Hyperinflation, die in Argentinien herrscht, werden viele Preise und Verträge monatlich – oder sogar wöchentlich – angepasst. Im Mai dieses Jahres berichtete etwa das argentinische Medium „Página 12“, dass 40 Prozent der Unternehmen die Gehälter ihrer Mitarbeiter:innen alle zwei Monate erhöhen. Andere sogar monatlich. 380 Euro kostet eine Einzimmerwohnung in Buenos Aires im Schnitt.
„Das bisherige Gesetz für den Wohnungsmarkt hatte so viele Vorgaben, dass weder Mieter noch Vermieter Freiraum hatten, über den Mietvertrag zu verhandeln“, sagt Ivàn Ginevra, und ergänzt: Für viele Immobilienbesitzer habe es sich gar angefühlt wie ein Überlassungsvertrag. „Viele ließen ihre Wohnungen deshalb lieber leer stehen, als sich der Bürokratie zu stellen.“
Denn der argentinische Mietmarkt ist ein zersplitterter Markt, der aus lauter privaten Wohnungseigentümern besteht, sagt María Mercedes Di Virgilio, die an der Universidad de Buenos Aires zu Wohnungspolitik forscht. „Hier gibt es kaum große Immobilienunternehmen, die sich auf die Vermietung spezialisiert haben. Die meisten Vermieter sind Privatleute, die ein oder zwei Immobilien besitzen.“ Für sie sei diese Bürokratie ein riesiger Aufwand – und unrentabel.
Jetzt kann jeder seine eigenen Regeln machen
Mit Mileis Dekret verschwand die Bürokratie. Und das Angebot stieg rapide an, mancherorts um 200 Prozent. „Die Mietpreise erhöhen sich zwar trotzdem weiter, teilweise um 200 Prozent. Aber sie liegen unterhalb der Inflationsrate, die nach wie vor bei 280 Prozent liegt“, sagt Ginevra. „Das ist seit vier oder fünf Jahren nicht mehr vorgekommen.“
Dass Präsident Milei das Gesetz einkassiert hat, findet der Immobilienunternehmer deshalb richtig. Die Überregulation hat der argentinische Präsident aber durch das andere Extrem ersetzt: die absolute Deregulation. Auch Ginevra gesteht: „Jeder kann jetzt seine eigenen Regeln machen.“ Aus seiner Sicht ist das allerdings auch für Mieter:innen von Vorteil.
María Mercedes Di Virgilio widerspricht: Dafür müssten beide Parteien gleichberechtigt sein, wenn sie über die Mietbedingungen verhandeln. Das treffe aber nicht zu. „Trotz des steigenden Angebots werden die Bedingungen für Mieter schlechter: steigende Preise, zunehmende Anforderungen – wer ein niedriges Einkommen oder ein instabiles Arbeitsverhältnis hat, trifft auf große Barrieren am Wohnungsmarkt“, sagt sie.
In Argentinien lebt mehr als die Hälfte der Bevölkerung in Armut, der Durchschnittslohn liegt – nach aktuellem Wechselkurs – bei etwa 220 Euro. Die Durchschnittsmiete für eine Einzimmerwohnung in der Hauptstadt Buenos Aires liegt der argentinischen Zeitung „La Nación“ zufolge aktuell bei etwa 380 Euro.
So sehr sich Wohnungssuchende in Argentinien also über den Anstieg des Angebots freuen können – für viele bleibt der Traum von der Mietwohnung trotzdem in weiter Ferne.